Circular Economy

»Deutschland hat gerade erst begonnen, den Weg zur Circular Economy zu beschreiten«

Interview /

Circular Economy = Rezyklieren von Abfällen? Nicht nur! Dass hinter zirkulärem Wirtschaften noch weit mehr steckt als Recycling, machen Dr.-Ing. Stephan Kabasci und Dr.-Ing. Jochen Nühlen im Interview deutlich. Zudem sprechen die Wissenschaftler über Herausforderungen auf dem Weg Richtung Circular Economy und erläutern, wie Fraunhofer UMSICHT bei der Bewältigung dieser Hürden unterstützen kann – sei es durch die Entwicklung von Technologien und Materialien oder die Beratung bei der zirkulären Transformation.

Stephan Kabasci
Dr.-Ing. Stephan Kabasci verantwortet das Strategic Project Development für das Fokusthema Circular Economy.
Jochen Nühlen
© Markus Laghanke
Dr.-Ing. Jochen Nühlen ist Business Developer für das Fokusthema Circular Economy.

Was zeichnet in euren Augen eine Circular Economy aus?

Stephan Kabasci: Dazu muss man sich zunächst darüber klar sein, wie unser aktueller Wirtschaftsansatz aussieht. Der ist nämlich zum Großteil linear: Die meisten Produkte werden gestaltet und entwickelt, ohne an die Phase nach der (ersten) Nutzung zu denken. Wie der Wert der für die Herstellung des Produkts verwendeten Rohstoffe und Materialien bestmöglich erhalten bleibt oder wie diese Rohstoffe und Materialien wieder für neue Produkte genutzt werden können – darauf sind in der Regel weder Geschäftsmodelle noch Produkte ausgelegt.

Jochen Nühlen: Die Circular Economy dagegen verfolgt einen anderen, einen zirkulären Ansatz: Produkte und Verfahren werden ganzheitlich gedacht – und zwar mit der Zielsetzung, die Bedürfnisse der Menschen genau so umfassend zu befriedigen wie in der linearen Wirtschaft, aber mit geringerem absoluten Ressourcen- und Energieeinsatz. Das geht im Idealfall einher mit der Nutzung erneuerbarer Quellen für Rohstoffe und Energie sowie der Reduktion von Emissionen. In der Produktion werden beispielsweise Abfälle und Ausschüsse minimiert und erneuerbare Energien eingesetzt oder auch Prozesse aufgesetzt, die nicht die Neuproduktion, sondern die Aufbereitung bereits genutzter Maschinen zum Ziel haben. Das erfordert ein Umdenken sowohl im Design, bei Verfahrenstechnik und eingesetzten Ressourcen als auch bei den dazugehörigen Geschäftsmodellen. Der Blick auf das eigene Unternehmen reicht dabei häufig nicht aus.

Stephan Kabasci: Als gute Orientierungshilfe gelten mittlerweile die R-Strategien, die die verschiedenen Bausteine und Möglichkeiten auf dem Weg hin zu einer Circular Economy konkretisieren. Sie betrachten ein Produkt oder einen Rohstoff über den gesamten Lebenslauf und adressieren dabei verschiedene Maßnahmen, die ein zirkuläres Wirtschaften ermöglichen könnten. Besonders großen Einfluss auf Zirkularität und Ressourcenverbräuche haben die ersten R-Strategien Refuse, Rethink und Reduce beim Design von Produkten und Geschäftsmodellen.

Wie weit ist Deutschland auf dem Weg Richtung Circular Economy?

Stephan Kabasci: Das lässt sich beispielsweise am Indikator »Circular Material Use Rate« von eurostat sehen. Dieser beschreibt, welcher Anteil der eingesetzten Rohmaterialien in einer nationalen Wirtschaft aus rezyklierten Abfallstoffen besteht. Demnach liegt Deutschland mit einem Wert von 13 Prozent für das Jahr 2022 im oberen Mittelfeld der EU, deren Wert bei 11,5 Prozent liegt. Das sieht auf den ersten Blick gut aus, ist aber deutlich entfernt von den Spitzenwerten: Niederlande = 27,5 Prozent, Belgien = 22,3 Prozent und Frankreich = 19,3 Prozent. Allerdings betrachtet dieser Indikator nur einen Aspekt dessen, wie zirkulär in Unternehmen und Gesellschaft gedacht und gehandelt wird. Schließlich ist das Recycling nur ein Aspekt der Circular Economy.

Jochen Nühlen: Das stimmt! Deutschland hatte lange den Ruf eines »Recycling Weltmeisters« und auch unser Kreislaufwirtschaftsgesetz zur Schonung natürlicher Ressourcen wird in der Welt vielbeachtet. Aber diesen Vorsprung haben wir aus meiner Sicht eingebüßt und uns zu lange auf eine R-Strategie fokussiert. Es ist für eine Circular Economy sehr wesentlich auf das Lebensende eines Produkts zu schauen und dort technologische Lösungen anzubieten. Diese Stärke, die wir in Deutschland in dem Bereich haben, muss aus meiner Sicht als Basis verstanden und Stück für Stück an sinnvollen Stellen um weitere R-Strategien erweitert werden. Es liegt großes Potential darin, diese sehr gute Recyclinginfrastruktur und unsere Innovationskraft in diesem Sektor als Fundament für zirkuläres Wirtschaften zu nutzen. Wir sollten daher gleichzeitig Recyclingtechnologien vorantreiben, aber diese auch konsequent mit anderen R-Strategien flankieren. Meine Einschätzung lautet daher: Deutschland hat gerade erst begonnen, den Weg zur Circular Economy zu beschreiten.

Welche Branchen sind bislang am besten unterwegs?

Stephan Kabasci: Das ist so gar nicht pauschal zu beantworten und man muss genauer hinschauen, an welchen Stellen in einer Wertschöpfungskette bereits zirkuläre Lösungen und Strukturen etabliert und auch von der Kundschaft akzeptiert sind. Im Lebensmittelhandel finden sich beispielsweise sehr effektive Mehrwegsysteme für Obst- und Gemüsetransporte. Im Vergleich zu Einweg-Pappkartons sind sie deutlich umweltfreundlicher und auch wirtschaftlicher, wie wir in einer Studie gezeigt haben. Im Maschinenbau gibt es einige Unternehmen, die aktiv an ihren Geschäftsmodellen und Strukturen arbeiten, um etwa Remanufacturing-Lösungen oder Leasingmodelle zu implementieren. Auch in Chemie- und Bauindustrie wird in den vergangenen Jahren viel über Kreisläufe nachgedacht.

Was sind die größten Herausforderungen?

Stephan Kabasci: Die Circular Economy hat viele Facetten, entsprechend vielfältig sind die Herausforderungen, aber auch Hebel. Zudem hat jedes Unternehmen unterschiedliche Ausgangslagen und Marktsituationen, sodass Verallgemeinerungen nicht weiterhelfen. In meinen Augen ist aber das größte Missverständnis: Sehr viele Menschen in Deutschland verstehen unter Circular Economy im Wesentlichen das Rezyklieren von Abfällen und entscheiden daher zu früh, dass das Thema keine Relevanz für sie und ihr Unternehmen hat. Dabei ist das Recycling nur ein Baustein, es gibt noch viel mehr:

  • die Vermeidung der Herstellung von Produkten durch das Anbieten von Services
  • das gemeinsame Nutzen von Produkten (Sharing Economy)
  • das Vermindern von Material- und Energieeinsatz in der Produktion
  • den Ersatz fossiler nicht-erneuerbarer Ressourcen durch Rezyklate oder nachhaltige biogene Rohstoffe
  • das langlebige und modulare Gestalten von Produkten, die einfach zu reparieren sind
  • die Gestaltung von Mehrwegsystemen im Verpackungsbereich
  • den Aufbau weiterer produkt- oder materialspezifischer Recyclingsysteme, deren Produkte, qualitativ hochwertige Rezyklate, echte Alternativen zu Neuware bei der Produktion bieten

Jochen Nühlen: Egal, an welcher Stelle ein Unternehmen seiner Tätigkeit am Markt nachgeht, es bestehen prinzipiell Anknüpfungspunkte und Entwicklungsfelder zu einer Circular Economy. Es gilt dabei immer mit dem Unternehmen genau hinzuschauen, welche der R-Strategien die erfolgversprechendste ist.

Eine große Herausforderung, die in vielen Gesprächen mit der Industrie auf dem Weg in die Circular Economy an uns herangetragen wird, liegt in den globalen Waren- und Ressourcenströmen. Unabhängig von sonstigen Vor- und Nachteilen globalisierter Stoffströme: Die Wertschöpfungsketten sind teilweise so verzweigt, dass ein Unternehmen allein häufig nicht entscheiden kann, sich, seine Produkte und sein Geschäftsmodell zirkulär aufzustellen. Da sind neben technologischen Voraussetzungen auch viel Kommunikation, Umdenken und Anpassungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette notwendig. Circular Economy ist eben ein Mannschaftsspiel: Sie erfordert den Willen und die Motivation aller Beteiligter und auch den politischen Rahmen! Wenn ein Baustein der Wertschöpfungskette nicht vom Mehrwert überzeugt ist, nicht richtig mitgenommen und abgeholt wird oder technologische Lösungen noch in den Kinderschuhen stecken, wird es häufig schwierig mit der tatsächlichen Umsetzung. Klar ist, dass diese Transformation nicht immer von heute auf morgen geht, aber noch enormes Potential besteht. Häufig erleben wir in unseren Gesprächen und Projekten echte »Aha«-Erlebnisse in Bezug auf die Beitragsmöglichkeiten. Wie in jedem Transformationsprozess müssen auch regulatorische Hürden überwunden werden: Gesetze und Vorschriften müssen weiterentwickelt werden, um diese auf Kreisläufe ausgelegte Wirtschaft umfassend zu unterstützen und zu fördern und die Rahmenbedingungen zu schaffen.

Circular Economy ist ein Forschungsschwerpunkt von Fraunhofer UMSICHT. Wo liegt aktuell der Fokus?

Stephan Kabasci: Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen insbesondere an Verfahrenstechnik für die Circular Economy, entwickeln zirkuläre Materialien und beraten Unternehmen bis hin zu Ländern für die zirkuläre Transformation. Daran sind insgesamt sieben Abteilungen unseres Instituts beteiligt – davon fünf am Standort in Oberhausen/Willich und zwei in Sulzbach-Rosenberg. Schwerpunkte liegen dabei auf der zirkulären Kunststoffwirtschaft und der Kreislaufführung von Wasser, Pflanzennährstoffen und wertvollen Bestandteilen aus Abwässern.

Jochen Nühlen: Um ein paar Schlaglichter zu setzen und die Bandbreite unserer Forschungs- und Entwicklungsarbeiten einmal zu verdeutlichen: Wir haben etwa vor kurzem die erste umfassende landesweite Abfallstrategie für ein Land der Golfregion vorgelegt und mit Kuwait einen echten Meilenstein geschaffen, der die kommenden 20 Jahre der dortigen Kreislaufwirtschaftsstrategie prägen wird. Aber auch auf konkreter Materialentwicklungsseite sind wir an vielen Stellen unterwegs. Im Projekt MoNova haben wir beispielsweise mit drei weiteren Fraunhofer-Instituten eine Monomaterialfolie auf Polyolefinbasis entwickelt. Durch die Beschränkung auf einen einzigen Polymertyp können die Folien recycelt und wieder zu Rohstoffen für neue Verpackungen werden. So kann durch intelligentes Materialdesign – abgestimmt auf die Anwendung und deren Anforderungen – ein Materialkreislauf entstehen. Im Bereich der Kunststoffe koordinieren wir bei Fraunhofer UMSICHT übrigens auch den Cluster of Excellence Circular Plastics Economy CCPE – einen Zusammenschluss von sechs Fraunhofer Instituten mit dem Ziel der Transformation zu einer zirkulären Kunststoffwirtschaft.

Wie Stephan auch schon angedeutet hat, ermöglichen wir als verfahrenstechnisches Institut auch mit konkreten Technologien Kreisläufe. Wir betreiben großtechnische thermochemische Konversionsverfahren sowie dazugehörige Aufbereitungs- und Reinigungsverfahren der entstehenden Produkte. So treiben wir die Herstellung von defossilen Chemikalien und Grundstoffen für neue Kunststoffe aus Biomasse, Abfällen und Reststoffen voran und ermöglichen Zirkularität, wo vorher keine Kreislaufführung möglich war. Hier arbeiten wir am Institut auch eng mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen, die ein besonderes Augenmerk auf die Kreislaufführung und Nutzung von Kohlenstoff legen.

Auch an Nährstoffen oder werthaltigen Elementen aus wässrigen Medien sind unsere Teams dran. Im Projekt Suskult arbeiten wir etwa an der Kreislaufführung von wichtigen Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff, Wasser und Energie, indem wir eine Symbiose zwischen Agrarwirtschaft und Kläranlage technologisch realisieren. Die Circular Economy hat viele Facetten, die sich natürlich auch in unseren Projekten widerspiegeln.

Wie kann die Zusammenarbeit mit Fraunhofer UMSICHT im Bereich Circular Economy aussehen?

Jochen Nühlen: Das kann entweder in direkter Zusammenarbeit oder auch in einem größeren Verbundprojekt stattfinden, in dem mehrere Partner entlang der Wertschöpfungskette gemeinsam an einer zirkulären Lösung arbeiten. Ein Unternehmen möchte beispielsweise eine zirkuläre Material- oder Produktinnovation auf den Markt bringen, ein internes Produktionsverfahren bewerten und verbessern lassen oder auf eine erwartbare Marktnachfrage möglichst zeitnah reagieren. Im Gespräch klären wir gemeinsam die Rahmenbedingungen, wie wir Unternehmen mit unserem Know-how und unserer Infrastruktur im Bereich Circular Economy erfolgreich weiterbringen können. Dabei ist unerheblich, wie groß das Unternehmen ist. Wir unterstützen Kleinunternehmen genauso professionell mit Forschungs- und Entwicklungsleistungen wie Auftraggeber aus Mittelstand oder DAX.

Stephan Kabasci: Inhaltlich kann sowohl eine technologische Neu- oder Weiterentwicklung im Fokus stehen als auch die wissenschaftliche Bewertung oder Entwicklung einer definierten R-Strategie zur Zirkularität eines Produkts oder Materials. Gemeinsam mit den Unternehmen recherchieren wir Fördermöglichkeiten für diese Innovationsprojekte.

Wie schon von Jochen erwähnt, ist die nachhaltige Energieversorgung auch ein Enabler einer Circular Economy. Wir profitieren dabei am Institut sehr davon, dass wir auch einen großen Schwerpunkt im Bereich der Forschung an Energiesystemen für klimaneutrale Gewerbe- und Industriestandorte sowie der Herstellung, Speicherung und Nutzung von grünem Wasserstoff haben. Damit eröffnen wir unseren Kunden häufig auch neue Denkräume und bieten Unternehmen die notwendige ganzheitliche Sichtweise.