»Diese Strategie macht Wasserstoff endlich zur Chefsache«
Was lange währt, wird endlich gut? Im Juni hat die Bundesregierung ihre Wasserstoffstrategie verabschiedet. Wie das Ergebnis zu bewerten ist, haben wir unseren stellvertretenden Institutsleiter, Prof. Görge Deerberg, gefragt. Sein Urteil: Die Strategie ist breit aufgestellt und glaubwürdig. Nichtsdestotrotz gibt es aus seiner Perspektive zwei Punkte, die stärker in den Fokus rücken sollten…
Die Bundesregierung hat lange an der Nationalen Wasserstoffstrategie gefeilt. Wie schätzen Sie das Ergebnis ein?
Görge Deerberg: Seit fast 40 Jahren trägt Wasserstoff das Label des Heilsbringers… Da ist zu begrüßen, dass es eine nationale Strategie gibt, die das Thema zur Chefsache macht. Dank Wasserstoffrat und Staatssekretärsausschuss ist auch eine Governance gefunden, die der Bedeutung gerecht wird. Auf mich macht das Ganze einen glaubwürdigen und durchsetzungsstarken Eindruck.
Eine weitere Sache, die mir gut gefällt: Obwohl die Strategie »national« im Namen trägt, ist sie international ausgerichtet. Sie hat relativ viele Bezüge zu Europa, aber auch internationale Ambitionen. Zum Beispiel gibt es den Plan einer gemeinsamen Wasserstoff-Roadmap. Ein wichtiger Punkt, denn nationale Alleingänge bringen beim Thema Wasserstoff nichts.
Auch begrüße ich, dass die Diskussion um den Wasserstoff ein Stück weit abkoppelt wird von der Mobilitätsfrage. Sie ist natürlich nach wie vor Bestandteil der gesamten Initiative, aber eben nicht der allein wichtigste.
Was sind aus UMSICHT-Sicht neuralgische Punkte? Gibt es Dinge, die fehlen?
Görge Deerberg: Im Grunde ist die Strategie sehr breit aufgestellt. Nichtsdestotrotz gibt es zwei Dinge, die man stärker in den Fokus rücken sollte.
Zum einen brauchen wir eine System- und Integralbetrachtung, um zu verhindern, dass wir in ein sektorales Silodenken verfallen. Statt einzelne Sektoren oder Industrien isoliert zu betrachten, brauchen wir eine systemische Gesamtschau, um vor allem auch Potenziale in der cross-industriellen Zusammenarbeit zu nutzen. So brauchen wir Kooperationen zwischen den Sektoren. Zwischen Strom, Wärme, Verkehr und Industrie ist ein großer Wettbewerb um das Mangelgut Wasserstoff abzusehen, zum Teil bedingt durch aktuelle Regularien. Das ist nicht immer hilfreich. Ein gutes Beispiel dafür, dass die übergreifende Zusammenarbeit sehr viele Chance bietet, ist das Verbundprojekt Carbon2Chem®. Dabei dürfen wir die Zeit nicht aus den Augen verlieren und auch hier eine integrale Systemsicht einführen, denn je länger wir mit echten Umsetzungen warten, desto mehr CO2 gelangt in die Atmosphäre. Wir müssen mit den Maßnahmen, die wir heute beherrschen, anfangen, statt darauf zu verweisen, dass neue Entwicklungen besser sein könnten.
Zum anderen müssen die Rahmenbedingungen passfähig gestaltet werden. In der nationalen Wasserstoffstrategie wird das angekündigt. Dieses Thema ist sicher sehr schwierig, und es wird Zeit für die Umsetzung brauchen. Daher muss es schnell angegangen werden. Wichtig ist es dabei, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht aufs Spiel gesetzt wird und dass der Aufbau der Infrastruktur zügig in Einklang mit Wasserstoffbereitstellung und -verbrauch wächst. Hierzu muss eine Wasserstoffversorgung die gleichen Privilegien wie Erdgas erhalten, so dass dem Ausbau der Infrastruktur keine besonderen Hürden entgegenstehen.
Beim Verbundprojekt Carbon2Chem® geht es verkürzt ausgedrückt darum, Hüttengase, die bei der Stahlproduktion anfallen, als Rohstoffquelle für die chemische Industrie zu erschließen. Auch die Bundesregierung erwähnt das Projekt in ihrer Strategie – als Flaggschiffvorhaben für die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Wo steht Carbon2Chem® aktuell mit Blick auf Wasserstoff?
Görge Deerberg: In der gerade abgeschlossenen ersten Phase des Projektes konnte u.a. gezeigt werden, dass der aus Stahlwerksabgasen gewonnene Wasserstoff gereinigt direkt für chemisch-katalytische Prozesse eingesetzt werden kann. Eine weitere, wichtige Erkenntnis: Die alkalische Elektrolyse, die ja als bewährte Technologie weiter ausgebaut werden soll, lässt sich auch dynamisch betreiben. Dynamischer Betrieb heißt in diesem Zusammenhang, dass die Leistung schnell variiert werden kann – je nachdem wie erneuerbarer Strom anfällt. Das ist eine Voraussetzung, um Wasserstoff im erneuerbaren Energiesystem in Deutschland sinnvoll bereitstellen zu können. Im Projekt wurde eine skalierbare, zwei Megawatt-Elektrolyse über einen längeren Zeitraum untersucht. Dabei konnte belegt werden, dass die Lastwechsel durchfahren werden können und sie auch im dynamischen Betrieb nicht altert und weiterhin effizient bleibt.
In der gerade gestarteten zweiten Phase von Carbon2Chem® geht es nun darum, Konzepte für die Infrastruktur zu erstellen, um große Mengen Wasserstoff an den Ort des Geschehens zu bringen. Schwerpunkte sind beispielsweise Elektrolyse vor Ort, Transportwege und auch Speichermöglichkeiten.
Die Wasserstoffstrategie enthält u.a. eine klare Botschaft Richtung Forschung: Bis 2030 sollen Lösungen zur Erzeugung und Speicherung, aber auch zur Anwendung von Wasserstoff im Industriemaßstab zur Anwendungsreife gebracht werden. Wie realistisch ist das?
Görge Deerberg: Ich halte das für realistisch, wenn wir damit beginnen. Viele Technologien sind bereits seit Jahren soweit, dass man sie anwenden kann. Das Problem besteht nur häufig darin, dass uns bessere Ansätze einfallen und wir vorhandene Lösungen deshalb nicht weiterverfolgen. Dabei sollten wir genau da ansetzen und uns endlich ans Realisieren machen.
Ein Problem stellt allerdings die Wirtschaftlichkeit dar. Regularien, Strompreis, Netzentgelte, EEG-Umlage – all das führt dazu, dass die Produktion von Wasserstoff teuer ist. Erschwerend kommt hinzu: Es gibt noch keine Massenproduktion von Wasserelektrolyseuren. Die heute in Manufaktur gefertigten Apparate sind entsprechend kostspielig. Die Infrastruktur, auch die zur Bereitstellung des grünen Stroms, muss aufgebaut – und finanziert werden.
Langfristig gibt es weitere Herausforderungen: die Materialien für Elektrolyseure und Brennstoffzellen müssen bereitstehen. Wenn man sich allerdings den Wasserstoffbedarf anschaut, müsste man zu seiner Produktion zum Beispiel einen großen Teil der weltweiten Iridium-Reserven einsetzen. Für derartige Fragestellungen braucht man Alternativen. Dies ist aktuell Gegenstand der Forschung.
Die Industrialisierung der Elektrolyse ist ein Bereich, in dem Forschende des Fraunhofer UMSICHT bereits aktiv…
Görge Deerberg: Das ist tatsächlich ein Bereich, in dem wir einiges machen. U.a. entwickeln wir neue Materialien und Systeme – angefangen bei Katalysatoren über Elektroden bis zu Elektrolyse- und Brennstoffzellenstacks. Dazu sind auch Konzepte für Langzeitzuverlässigkeit und vor allem für die Sicherheit erforderlich. Ein wesentlicher Schwerpunkt bildet sich hierbei gerade aus: die Verunreinigung des Wasserstoffs mit Minor-Komponenten im ppm-und ppb-Bereich. Sie können gerade bei hochwertigen Synthesen in Nachfolgeprozessen über längere Sicht Katalysatorschäden hervorrufen und bedürfen daher einer besonderen Beachtung.
Aber wir befassen uns auch mit der Frage, wie wir Strom direkt in Produkte umsetzen können, ohne den Weg über Wasserstoff zu gehen. Das ist deshalb spannend, weil dadurch Umsetzungsverluste reduziert werden können. Hier ist noch viel Grundlagenarbeit gefragt.
Das Echo auf die Wasserstoffstrategie fällt durchwachsen aus. Verbände kritisieren zum Beispiel, dass sowohl ein Entwicklungskonzept für einen entsprechenden Markt als auch ein Bekenntnis zum Ausbau erneuerbarer Energien fehlen. Was ist von diesen Punkten zu halten?
Görge Deerberg: Die wesentlichen Punkte sind ja in der Strategie adressiert, über den zeitlichen Rahmen für konkrete Umsetzungsmaßnahmen muss man sicher diskutieren. Nachvollziehen kann ich die Sichtweise einzelner Verbände, die aus ihrer Perspektive heraus andere Schwerpunkte gesetzt hätten. Ein Kochrezept, wie man erneuerbare Energien in Deutschland möglichst schnell ausrollt, enthält die Wasserstoffstrategie natürlich nicht. Trotzdem kann sie nur funktionieren, wenn es eine gut ausgebaute Infrastruktur für erneuerbare Energien gibt – und davon sind wir leider noch weit entfernt.
Ein Punkt, der häufig diskutiert wird, ist blauer Wasserstoff. Anders als bei grünem Wasserstoff, der CO2-frei hergestellt wird, wird bei der Produktion von blauem Wasserstoff aus Erdgas Kohlendioxid erzeugt. Es gibt Überlegungen, dieses CO2 aufzufangen und dann wieder einzuspeichern – zum Beispiel in genutzten Erdgaslagerstätten. Das ist unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten natürlich keine wünschenswerte und auch eine teure Lösung, sie kann aber durchaus eine Zeit lang erforderlich sein. Sonst würde der sequenzielle Aufbau einer Infrastruktur für erneuerbaren Strom zur Herstellung von Wasserstoff und zum Transport schlichtweg zu lange dauern. Niemand stellt einen Antrag auf Bau einer Pipeline, wenn er keinen Wasserstoff zu transportieren hat. Wenn wir also abwarten, bis der erneuerbare Strom da ist, die Elektrolysekapazitäten aufgebaut oder absehbar sind und ein nennenswerter Markt für Wasserstoff existiert, bevor wir anfangen, in die Infrastruktur zu investieren, wird die Realisierung einer Wasserstoffwirtschaft deutlich zu lange dauern. Deshalb müssen wir vielleicht in den sauren Apfel beißen und blauen Wasserstoff als schnell erreichbare Übergangslösung akzeptieren. Keiner will das wirklich, aber vielleicht ist es erforderlich.
Kritisiert wurde auch, dass sich Deutschland abhängig von Importen macht, wenn es im Bereich Wasserstoff über internationale Kooperationen nachdenkt. Das ist richtig. Man macht sich abhängig. Aber wir sind bereits seit vielen Jahren zu 80 bis 90 Prozent abhängig von Importen, um unsere Energie- und Rohstoffversorgung aufrechtzuerhalten. Und das mit Erfolg. Denn diese Abhängigkeiten sind ja gegenseitig und bringen uns auch in den Lieferländern Vorteile. Hier können wir mit Technologie dienen. Wir täten uns also keinen Gefallen, sie aufzubrechen. Wir müssen vom Import fossiler Energieträger und Rohstoffe auf erneuerbare umstellen. Warum sollte das nicht gehen? Wasserstoff ist dafür ein sehr guter Ansatz. Das darf uns jetzt natürlich nicht davon abhalten, hier in Deutschland eine Infrastruktur für erneuerbaren Strom aufzubauen. In meinen Augen muss man beides aufeinander abgestimmt machen.