»Wissenschaft und Bildung sind für Frieden und Entwicklung in der globalisierten Welt unerlässlich«
Den 10. November hat die UNESCO zum Welttag der Wissenschaft für Frieden und Entwicklung erkoren. Das haben wir zum Anlass für ein Interview mit der Leitung des Fraunhofer UMSICHT genommen: Wie hat sich die Forschungsarbeit seit Gründung des Instituts im Jahr 1990 verändert? Und welchen Themen haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den vergangenen 30 Jahren gewidmet?
Prof. Deerberg, Sie stießen bereits kurz nach der Institutsgründung im Juni 1990 zum UMSICHT-Team. Wie hat sich die Forschungsarbeit seitdem verändert?
Prof. Deerberg: Was sich definitiv verändert hat, ist die Kommunikation in der Wissenschaft. Nicht zuletzt dank der Digitalisierung, die sehr viel Tempo und Geschwindigkeit in unsere Arbeit gebracht hat. Früher ging es deutlich beschaulicher zu. Da gab es durchaus Zeitfenster, in denen unsere Wissenschaftler*innen z.B. Artikel lesen und auswerten konnten – und zwar ohne eine parallele Dauerflut von Informationen und kurzfristigen Anforderungen. Das ist heute nicht mehr ohne weiteres möglich.
Auch die Art der Zusammenarbeit hat sich verändert. Waren vor 30 Jahren noch viele Einzelkämpferinnen und -kämpfer in der Wissenschaft unterwegs, so agieren wir heute vor allem in Teams oder auch Netzwerken. Das ist für die Generierung neuer Projektideen inzwischen auch unerlässlich: Wir müssen transdisziplinär denken, um überhaupt Innovationen zu ermöglichen.
Wie spiegelt sich das am Fraunhofer UMSICHT wieder?
Prof. Weidner: Aus meiner Sicht hat sich die Kooperationskultur bei der Fraunhofer-Gesellschaft insgesamt während der vergangenen fünf bis acht Jahren dramatisch verbessert und entwickelt. Die Institute sehen viel stärker, dass sie gemeinsam einen deutlichen Mehrwert generieren. Beispiele dafür sind zwei Projekte, die wir koordinieren durften: Strom als Rohstoff nutzen, bei dem neun Institute zusammengearbeitet haben, sowie der Fraunhofer Cluster of Excellence Circular Plastics Economy CCPE®, bei dem sechs Institute involviert sind.
Mit Blick auf das Fraunhofer UMSICHT kann ich sagen, dass wir in den vergangenen fünf Jahren gelernt haben, auch große Projekte im Millionen- und sogar Multimillionenbereich zu stemmen. Bestes Beispiel ist Carbon2Chem®. Das Verbundprojekt zeigt, dass wir sowohl in der deutschen Forschungslandschaft als auch in der Industrie sehr gut vernetzt sind und dass man uns dort als leistungsstarken, verlässlichen Partner wahrnimmt.
Haben sich – analog zur Forschungsarbeit – auch die Forschungsthemen am Fraunhofer UMSICHT verändert?
Prof. Deerberg: Der Ursprung des Instituts lag beim Umweltschutz und den entsprechenden Technologien. Davon haben wir uns in den 30 folgenden Jahren sehr konkret in Richtung Nachhaltigkeit bewegt – mit allem, was dazugehört. Wir setzen uns immer noch mit Technologien auseinander, aber es sind viele andere Aspekte dazu gekommen: Aspekte der Bewertung, Aspekte der Kommunikation mit der Gesellschaft, Aspekte der Beratung und auch Aspekte der Unterstützung von Politik und Gesellschaft. Im Jahr 2020 sehen wir uns deshalb als Wegbereiter in eine nachhaltige Welt. Wir setzen uns daher viel mehr auch mit globalen gesellschaftlichen Herausforderungen auseinander und versuchen unseren Lösungsbeitrag dazu zu leisten.
Prof. Weidner: Ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg war die Veröffentlichung unseres ersten Nachhaltigkeitsberichts im Jahr 2007. Damals waren wir die ersten, die so etwas in Deutschland gemacht haben. Wenn man zurückblickt, hat das sehr viele Konsequenzen gehabt. U. a. dass auch die Fraunhofer-Gesellschaft jetzt einen Nachhaltigkeitsbericht hat.
Im jüngst veröffentlichten Nachhaltigkeitsbericht des Fraunhofer UMSICHT nimmt das Institut zum ersten Mal Bezug auf die Sustainable Development Goals – kurz: SDGs – der Vereinten Nationen. Welchen Beitrag leistet das Fraunhofer UMSICHT zum Erreichen dieser Ziele?
Prof. Weidner: Wir hatten das Glück, von der Fraunhofer-Gesellschaft den Auftrag für eine White-Spot-Analyse zu bekommen, die offenlegt, wo Fraunhofer mit Blick auf die SDGs weiße Flecken hat. In diesem Prozess haben wir natürlich auch unsere eigene Arbeit hinterfragt und gemerkt, dass UMSICHT zu vielen Zielen beitragen kann. Schwerpunkte sind sicherlich die SDGs sieben und zwölf, die eine sichere Energieversorgung und das Produzieren in Kreisläufen adressieren. Das sind Themen, die uns seit vielen Jahren – eigentlich seit der Gründung – umtreiben.
Wissenschaft und Gesellschaft rücken immer enger zusammen. Das zeigt sich nicht zuletzt in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie. Wie geht das Fraunhofer UMSICHT diesen Weg?
Prof. Deerberg: Am Beispiel Corona zeigt sich, dass Wissenschaft immer mehr Verantwortung übernimmt. Dadurch steigen aber auch die Erwartungen von Politik und Gesellschaft. Im positiven Sinne sind wir da ein Stück weit gefordert, unsere Aktivitäten zu erklären, um eine Basis für gemeinsames Handeln zu schaffen. Wer neue Entwicklungen oder Technologien nicht versteht, wird sie auch nicht akzeptieren und unterstützen.
Mit dieser Thematik befassen wir uns schon seit langer Zeit. In unserem gemeinsamen Studiengang infernum mit der FernUniversität in Hagen bilden wir seit 20 Jahren Akademiker*innen interdisziplinär aus, damit sie kommunikationsfähiger sind. Am UMSICHT betreiben wir auf der einen Seite verstärkt Wissenschaftskommunikation. Auf der anderen Seite spielt Partizipation eine immer größere Rolle. So versuchen wir beispielsweise, gesellschaftliche Kräfte im Rahmen von Bürgerlaboren oder speziell auf den Dialog ausgerichteten Projekten einzubeziehen.
Wissenschaft und Bildung sind für Frieden und Entwicklung in der globalisierten Welt unerlässlich. Wir versuchen, auch hier einen Beitrag zu leisten.