Heilpflanzen als Teil des Strukturwandels
Interview vom 20.05.2020
Was haben der Anbau von Heil- und Medizinpflanzen und das Rheinische Revier, Synonym für den Abbau von Braunkohle, gemeinsam? Auf den ersten Blick eher wenig. Doch im Zuge des Strukturwandels entwickelt das Fraunhofer UMSICHT vielversprechende Möglichkeiten, um in der Region Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze zu generieren. Im Fokus: die Heilpflanze Arnika. Volkmar Keuter, Experte für kontrollierte nachhaltige Agrarproduktion, über das Potenzial dieses Vorhabens als Teil des geplanten »BioökonomieREVIER Rheinland«.
Sie beschäftigen sich mit nachhaltiger Agrarwirtschaft. Wie passen dieser Forschungsschwerpunkt und der Strukturwandel im Rheinischen Revier zusammen?
Volkmar Keuter: Die Anforderungen an die Qualität des Produkts, die Effizienz und die Ressourcenschonung in der Agrarwirtschaft nehmen zu. Das gilt insbesondere auch für die Kultivierung von Heilpflanzen, Kräutern und Gemüse. Eine hoch produktive Landwirtschaft im Rheinischen Revier spielt im Rahmen des Strukturwandels eine zentrale Rolle für die Landschafts- und Landnutzungsentwicklung. Sie soll mit neuen Methoden und Verfahren zukunftssicher gestaltet werden – unter Nutzung regionaler Stoffkreisläufe und Weiterentwicklung traditioneller Nutzungspfade.
Welchen Mehrwert bringt das Vorhaben für die Region?
Volkmar Keuter: Heil-, Medizinal- und Aromapflanzen bieten interessante Optionen im Strukturwandel des Rheinischen Reviers: Eine Diversifizierung durch neue Produkte und die Steigerung der Wertschöpfung von landwirtschaftlicher Produktion sind ein wichtiges Ziel des BioökonomieREVIER-Ansatzes. Das hat nicht nur einen positiven Einfluss auf die Einkommensgrundlage der Landwirte. High-Tech-Produktionssysteme für hochwertige Produkte helfen, den Flächendruck zu reduzieren und Arbeitsplätze für unterschiedliche Ausbildungsniveaus zu schaffen.
Sie untersuchen im Projekt »AZUR« die regionale Wertschöpfung von Heil- und Medizinalpflanzen am Beispiel Arnika. Was prädestiniert diese Pflanze für den kontrollierten Anbau?
Volkmar Keuter: Das Anwendungsspektrum von Heil- und Medizinalpflanzen ist groß, es reicht von einfachen Darreichungsformen wie z. B. in Tees bis hin zu hochkomplexen Therapiekonzepten. Aktuell entstammt ein Großteil der Pflanzen aus Wildsammlungen, weshalb oftmals die geforderten Qualitätskriterien nicht eingehalten werden können: Die Gehalte an Wirksubstanzen variieren stark, es kommt zu Kontaminationen aufgrund »unreiner« Sammlungen, nicht zu vergessen die Belastungen durch Pflanzenschutzmittel sowie klima- und witterungsbedingte Restriktionen. Den Kolleginnen und Kollegen des Fraunhofer IME ist es durch umfangreiche Heil- und Medizinalpflanzen-Zuchtprogramme gelungen, wirtschaftlich interessante Hochleistungslinien für einen organisierten und reproduzierbaren Anbau im Feld zu ermöglichen. Dadurch wurde der Gehalt der entzündungshemmenden Wirksubstanz Sesquiterpenlacton in Arnika stabilisiert und sogar verdoppelt.
Das Rheinische Revier bietet zum einen geeignete Flächen für den Freilandanbau auf marginalen und hervorragenden Böden, zum anderen die technische Expertise in Wissenschaft und (Land-) Wirtschaft, um die notwendigen Produktionssysteme zu etablieren. Auch für Bau und Anpassung der Systeme – inklusive Verkauf und Nutzung weltweit – sind in der Umgebung eine Vielzahl an Wirtschaftspartnern verfügbar.
Wie ist das Projektkonsortium von »AZUR« aufgestellt?
Volkmar Keuter: Insgesamt 15 Innovationslabore entstehen gerade an der Schnittstelle zwischen (Land-)Wirtschaft und Wissenschaft, beteiligt sind Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Die Innovationslabore sollen den schnellen Transfer neuer Verfahren in die Praxis ermöglichen, um Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze zu generieren. Im Innovationslabor »AZUR« arbeiten wir unter der Koordination des Fraunhofer IME, Standort Münster, noch mit dem Forschungszentrum Jülich (IBG-2) zusammen.
Welche Aufgaben übernimmt dabei das Fraunhofer UMSICHT?
Volkmar Keuter: Die Züchtung und der Anbau bedarfsoptimierter Heil- und Medizinalpflanzen in sogenannten CEA (Controlled Environment Agriculture) benötigen eine gezielte Steuerung sowie eine engmaschige und lückenlose Überwachung sämtlicher für die Konzentration der Pflanzeninhaltsstoffe relevanter Einflussfaktoren. Unter der Leitung von Dennis Schlehuber, Abteilung Photonik und Umwelt, arbeiten wir am Fraunhofer UMSICHT an der Überführung der Züchtungsergebnisse der Pflanzenforscher in kontrollierte Umgebungen. Dabei interessiert uns auf der einen Seite, mit welchen technischen Möglichkeiten man die Wirkstofffreisetzung gezielt beeinflussen kann. Auf der anderen Seite untersuchen wir die Detektion der Wirkstoffe. Wir setzen die Pflanzen gezielt unter Stress: Durch zu wenig/zu viel Licht oder hohe/niedrige Temperaturen etwa werden Schutzmechanismen aktiviert, um darauf zu reagieren. Hierzu zählen z. B. die Bildung von Pigmenten oder Wirkstoffen.
Erzählen Sie uns etwas über Ihren Werdegang am Fraunhofer UMSICHT. Wie sind Sie zu Ihrem aktuellen Forschungsschwerpunkt gekommen?
Volkmar Keuter: Nach meinen Studien der Bioverfahrenstechnik in Berlin und des Maschinenbaus mit Schwerpunkt Verfahrenstechnik in Essen war ich einige Jahre in verschiedenen Industrieunternehmen tätig. Meine Schwerpunkte lagen dabei auf neuen Prozessen der Abwasseraufbereitung. 2006 bin dann zum Fraunhofer UMSICHT zurückgekehrt, wo ich bereits 1998 meine zweite Diplomarbeit angefertigt hatte. Anfangs habe ich meine Erfahrungen in neue Trenn- und Aufbereitungsprozesse einbringen können. Seit 2010 habe ich mich verstärkt dem Aufbau des Forschungsschwerpunkts inFARMING® gewidmet. Das ist ein Konzept, in dem wir als Technologieorientiertes Institut Prozesse, Materialien, aber auch Digitalisierungskonzepte (Hard- und Software) für die CEA mit Schwerpunkt auf den urbanen Raum entwickeln. Von 2013 bis 2016 habe ich das Fraunhofer-Kooperationszentrum für intelligente Gebäudetechnik inHaus in Duisburg verantwortlich geleitet. Seit 2016 leite ich die Abteilung Photonik und Umwelt am Fraunhofer UMSICHT.
Welche besonderen Voraussetzungen bietet das Fraunhofer UMSICHT für Ihre Forschung?
Volkmar Keuter: An erster Stelle ist hier sicherlich das breite Kompetenzportfolio des Instituts zu nennen. Ein Thema wie inFARMING® baut man nicht alleine auf. In vielen Gesprächen und Diskussionen mit Externen (heute größtenteils Kooperations- und Netzwerkpartner) und Kolleginnen und Kollegen am UMSICHT – hier explizit zu nennen sind die Mitarbeitenden aus der Abteilung Photonik und Umwelt, Simone Krause aus der Abteilung Nachhaltigkeit und Partizipation und Holger Wack aus der Abteilung Produktentwicklung – war dies über die letzten 10 Jahre möglich. Des Weiteren sind die Gestaltungsmöglichkeiten des UMSICHT hervorzuheben. Das Thema war 2010 komplett neu für uns. Über viele kleine Schritte, aber auch Rückschläge, und dann erste Projekte ist es uns gelungen, das Thema kontinuierlich aufzubauen.
Was wünschen Sie dem Institut zum 30-jährigen Jubiläum?
Volkmar Keuter: Weiterhin viele kreative Ideen, damit das UMSICHT zum Treiber einer biobasierten Transformation in Deutschland wird. Und dazu passend natürlich, dass wir die entsprechenden kreativen Köpfe weiterhin an unser Institut bekommen.
Förderhinweis
Die Initiative »BioökonomieREVIER Rheinland« wird im Rahmen des Sofortprogramms »Strukturwandel« vom Bundesforschungsministerium BMBF gefördert.