»Wir können den gesamten Bereich Sektorenkopplung bespielen«
Interview vom 20.10.2020
Wie sah Ihr Weg ans Fraunhofer UMSICHT aus?
Christian Doetsch: Vom UMSICHT habe ich aus der Zeitung erfahren. Dort stand, dass ein Dortmunder Professor in Oberhausen ein Institut für Umwelttechnik gründen will. Das hat mich als gebürtigen Oberhausener natürlich interessiert. Zu der Zeit studierte ich Chemietechnik an der TU Dortmund und hatte bereits diverse Tätigkeiten als wissenschaftliche Hilfskraft absolviert. Damit stand die nächste Station fest: Ende 1993 habe ich als Hiwi am UMSICHT angefangen und erstmal in FORTRAN 77 programmiert – einer Sprache, die insbesondere für numerische Berechnungen in Wissenschaft, Technik und Forschung zum Einsatz kommt.
Nach meiner Diplomarbeit und gut einem Jahr als »Diplom-Hiwi« bei UMSICHT im Bereich Energie habe ich dann einen Vertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter bekommen. Mein erstes Projekt bestand darin, ein Wirbelrohr zu untersuchen, über das Kälte bereitgestellt wird. Von großem Erfolg war dieses Projekt leider nicht gekrönt, da der Effekt wissenschaftlich interessant, aber ökonomisch nicht erfolgreich war. Meine Dissertation zum Strömungsverhalten von Eis-Wasser-Suspensionen – damals ein neues und vielversprechendes Thema – habe ich 2001 abgeschlossen.
Welche Werte verbinden Sie mit dem Institut?
Christian Doetsch: Es sind zwei verschiedene. Auf der einen Seite verbinde ich mit dem Institut, dass hier alle die Chance bekommen, im Rahmen der Möglichkeiten die Forschungsfreiheit auszuleben und ganz neue Ideen zu verfolgen. Das wäre im industriellen Umfeld nicht möglich. Auf der anderen Seite verbinde ich mit dem Fraunhofer UMSICHT eine gewisse Erwartungshaltung an die Forschenden: Wer hier arbeitet, hängt sich rein. Ich kann mich an ein Wochenende während meiner Promotionszeit erinnern, an dem wir fast voll besetzt waren. Dieses Arbeitsethos hat sich über die vergangenen 30 Jahre gehalten. Auch heute sehe ich viele Doktorand*innen, die hoch-engagiert – nun ganz »Flex-Work« – von zu Hause, von unterwegs oder sonst wo an ihrem Promotionsthema arbeiten.
Was waren mit Blick auf die vergangenen 30 Jahre Highlights im Bereich Energie?
Christian Doetsch: Ein großer Erfolg in meinen Augen: Es ist uns mehrfach gelungen, »uns neu zu erfinden«, d.h. uns thematisch neu aufzustellen. Ganz neue Themen aufzubauen, bedeutet aber auch, sich von einzelnen Themen zu verabschieden. Beispiele für solche – persönlich auch immer schmerzhafte - »Abschiede« waren Fernwärme und Biogas. Das heißt zum anderen aber auch, dass wir uns immer wieder in neue Gebiete eingearbeitet und diese für UMSICHT aufgebaut haben. Anfang 2003 sind wir beispielsweise mit der Forschung zu Stromspeichern gestartet. Ein mühsamer Prozess, denn im Stromsektor waren wir bis dahin eher schwach aufgestellt. Die ersten Themen waren Druckluftspeicher und – mittelfristig sehr erfolgreich – Redox-Flow-Batterien. Dieses Thema mündete in vielen Patenten und der Gründung eines Start-ups, das inzwischen erfolgreich verkauft ist und Patente hierzu auslizensiert sind. Auch den Bereich Turbomaschinen haben wir – vor allem in Person von Willi Althaus – ganz neu erschlossen. Inzwischen können wir selber Turbinen entwickeln, und es gibt ein von UMSICHT-Mitarbeiter*innen ausgegründetes Start-up am Markt. Den letzten Neuzugang konnten wir vor drei Jahren verzeichnen: die ATTRACT-Gruppe um Ulf-Peter Apfel. Hier liegt der Schwerpunkt auf Elektrochemie, die Schlüsseltechnologie für die Wasserstoffwirtschaft. Mit der Entwicklung von Elektrokatalysatoren hatten wir vorher überhaupt nichts zu tun, aber sowohl Thema als auch Person passen hervorragend zum Fraunhofer UMSICHT.
Auf diese Weise hat sich der Bereich Energie seit der UMSICHT-Gründung deutlich weiterentwickeln und wachsen können. Gestartet sind wir mit ca. zehn Mitarbeiter*innen, die sich vorrangig mit Wärme- und Kältekonzepten sowie -technologien beschäftigt hatten. Heute forschen 70 Mitarbeiter*innen – davon über die Hälfte Doktorand*innen – an den Themen Katalyse, Turbinen, Batterien und Sektorenkopplung.
Auf welchen Themen wird der Fokus des Bereichs Energie in den kommenden Jahren liegen?
Christian Doetsch: Ich sehe eigentlich zwei wichtige Bewegungen. Das eine ist sicherlich die Digitalisierung des Energiesystems. Auf der einen Seite haben wir – über das Internet der Dinge – die Möglichkeit, zuhause Geräte oder energetische Prozesse zu steuern, die auf das Energiesystem einwirken. Auf der anderen Seite lassen sich ganz neue Geschäftsmodelle etablieren. Vielleicht möchte der Kunde den über seine Solaranlage gewonnenen Strom nicht länger einspeisen, sondern lieber an seinen Nachbarn verkaufen.
Technologisch wird sicherlich die Sektorenkopplung ein ganz großer Treiber für uns sein. Die technische und ökonomische Trennung von Strom, Wärme und Mobilität lässt sich nicht mehr vermitteln. Und systemisch führt es in eine Sackgasse. Zuhause haben wir beispielsweise einen grünen Stromvertrag oder erzeugen den Strom solar selber, heizen aber weiter mit Erdgas oder fahren einen Benziner. In meinen Augen macht es keinen Sinn, den Sektor Strom weiter zu optimieren, wenn wir die anderen Bereiche nicht parallel angehen. Da muss etwas passieren. Und wir müssen auch die Synergien zwischen den Sektoren nutzen. In einem ersten Schritt sollte der Wärmesektor – bspw. über Wärmepumpen – grüner gestaltet werden; der Synergiegewinn für das Stromsystem ist die höhere Stabilität und Flexibilität durch die Pufferwirkung des Wärmesektors.