IN4climate.NRW

»Industrie, Wissenschaft und Politik an einem Tisch«

Interview /

Damit der Industriestandort Nordrhein-Westfalen klimaneutral wird und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleibt, bedarf es grundlegender Veränderungen. Neben neuen Produktionsprozessen und Produktionsverfahren sind vor allem eine optimierte Infrastruktur und angepasste Rahmenbedingungen gefragt. Input hierfür liefert der Thinktank IN4climate.NRW. Hier sitzen erstmals Vertreterinnen und Vertreter aus Industrie, Wissenschaft und Politik zusammen, um Impulse für die Transformation der Grundstoffindustrie zu geben. Von Beginn an mit dabei: Dr.-Ing. Christoph Glasner vom Fraunhofer UMSICHT.

Dr.-Ing. Christoph Glasner: Strategic Project Development für den Forschungsschwerpunkt Carbon Management

Was genau ist IN4climate.NRW?

Christoph Glasner: IN4climate.NRW ist Ende 2018 gestartet und versteht sich als eine Art Dialogformat. Industrie, Wissenschaft und Politik haben zunächst in einem Innovationsteam die aktuellen Herausforderungen für die Transformation der Grundstoffindustrie diskutiert. Eine Kernfrage war: Was müssen wir tun, damit sie bei einer Transformation hin zur klimaneutraler Produktion weiterhin wettbewerbsfähig bleibt? Neben großen Industrieunternehmen gibt es hier in Nordrhein-Westfalen mehrere wissenschaftliche Institutionen, die über entsprechende Kompetenzen verfügen. Federführend begleiten Fraunhofer UMSICHT und das Wuppertal Institut den Thinktank IN4climate.NRW wissenschaftlich im Rahmen von SCI4climate.NRW.

Wer waren bzw. sind die anderen Partner in SCI4climate.NRW?

Christoph Glasner: Die beiden genannten Forschungseinrichtungen, der VDZ (VDZ Technology gGmbH), das BFI (VDEh-Betriebsforschungsinstitut), das IW (Institut der deutschen Wirtschaft) und zwei Lehrstühle der RWTH Aachen. Die beiden Lehrstühle sind mittlerweile nicht mehr mit dabei.

Nachdem die Zielsetzung definiert war: Wie haben sie die zentralen Themen gesetzt?

Christoph Glasner: Im Innovationsteam war schnell klar, dass Wasserstoff ein zentrales Element sein wird, ebenso chemisches Recycling, Prozesswärme und die Kohlenstoffdioxidwirtschaft (Carbon Management). Im nächsten Schritt haben wir einzelne Arbeitsgruppen gegründet, um weiter ins Detail zu gehen. Nehmen wir das Beispiel Wasserstoff: Hier haben wir eine große Expertise bei Fraunhofer UMSICHT, die wir in Form von Impulsen in die entsprechende Arbeitsgruppe einbringen.

Sie bearbeiten also keine konkreten Projekte, sondern stoßen diese eher an.

Christoph Glasner: Das muss man differenziert betrachten. Wir, die Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft, arbeiten und forschen im Rahmen von SCI4climate.NRW mit dem Ziel, diese Themen zielführend in IN4climate.NRW einbringen zu können. Das Wuppertal Institut etwa beschäftigt sich ganz konkret mit Klimaneutralitätsszenarien. Die Bereiche Technologien und Infrastrukturen werden maßgeblich von Fraunhofer UMSICHT abgedeckt, wo wir uns u. a. intensiv dem chemischen Recycling gewidmet haben und über großes Know-how zum Thema Kohlenstoff verfügen. Generell gibt es zahlreiche Synergieeffekte zu anderen Aktivitäten des Instituts, so z. B. im Rahmen von Carbon2Chem®.

Nehmen sie uns gerne noch mehr in die Praxiswelt von IN4climate.NRW mit.  

Christoph Glasner: Im September letzten Jahres gab es eine Arbeitsgruppensitzung zum Thema Wasserstoff, in der diskutiert wurde, ob in Deutschland ausreichend Wasser für die Wasserstoffelektrolyse vorhanden ist. Das ist ein Thema, an dem meine Kollegin Ilka Gerke mit ihrem Team forscht. In der gleichen Sitzung haben wir auch die Ergebnisse einer Studie für die Businessmetropole Ruhr (BMR) vorgestellt. Die Kurzstudie zur »Wasserstoffmodellregion Metropole Ruhr« haben wir im Auftrag von BMR und Regionalverband Ruhr gemeinsam mit dem Institut für qualifizierende Innovationsforschung und -beratung GmbH (IQIB) und dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt e. V. durchgeführt. Fraunhofer UMSICHT hat sich insbesondere mit (potenziellen) Wirtschaftsaktivitäten einer sich entwickelnden Wasserstoffwirtschaft beschäftigt. Wir haben Unternehmen identifiziert, die perspektivisch einen Beitrag dazu liefern – durch die Anwendung, Erzeugung und den Transport von Wasserstoff – oder relevante Produkte und Dienstleistungen herstellen könnten.

Ein weiteres Beispiel ist die vor zwei Jahren veröffentlichte Carbon-Management-Strategie des Landes Nordrhein-Westfalen. Dahinter steht die zentrale Frage, wie wir künftig mit dem Thema Kohlenstoff umgehen. Es handelt sich um die erste politische Strategie in Deutschland, die benennt, dass wir um Carbon Capture and Storage (CCS) nicht herumkommen. Also ein Instrument zum Umgang mit CO2-Mengen, die auch in einer klimaneutralen Welt noch in ein paar Prozessen anfallen werden. Eben aber auch ein Instrument, dass in Richtung diverser Umweltverbände für Diskrepanz sorgt. Die Strategie wurde im damaligen Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (später Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie) formuliert, das zu der Zeit sehr eng mit unserer Arbeitsgruppe Kohlendioxidwirtschaft verknüpft war. Entsprechend groß waren unsere Impulse für die inhaltliche Gestaltung. Noch in diesem Jahr soll eine Carbon-Management-Strategie auf Bundesebene folgen, deren Eckpunkte bereits veröffentlicht wurden.

Wie wird SCI4climate.NRW finanziert?

Christoph Glasner: Zunächst hat das Land SCI4climate.NRW als Projekt gefördert. Diese Förderung ist im November 2022 ausgelaufen. Die aktuelle Finanzierung läuft über separate Forschungsaufträge an die oben genannten Partner von SCI4climate.NRW, die direkt vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen kommen.

Anfang 2022 ist NRW.Energy4Climate an den Start gegangen. Wie ist seitdem die Zuordnung?

Christoph Glasner: Es gab zunächst die Landesgesellschaft IN4climate.NRW GmbH – mit den genannten Aufgaben und Schwerpunkten. NRW.Energy4Climate.NRW basiert auf vier Säulen: »Energiewirtschaft«, »Industrie und Produktion«, »Wärme und Gebäude» und »Mobilität». »Industrie und Produktion« ist im Prinzip gleichbedeutend mit IN4climate.NRW. Im Umkehrschluss ist also IN4climate.NRW eine Säule von NRW.Energy4Climate geworden.

Gibt es ähnliche Modelle in anderen Regionen?

Christoph Glasner: Hier sind wir im wahrsten Sinne des Wortes einzigartig und es wird sehr wertschätzend in Richtung NRW geschaut. Das Besondere bei uns ist ja, dass wir einen direkten Austausch mit der Landesregierung und somit auf politischer Ebene haben. In den Sitzungen der Arbeitsgruppen sind immer auch Mitarbeiter*innen aus dem Ministerium vertreten. Über diese Schiene haben wir mit unseren Botschaften einen Zugang bis auf die Bundesebene.

Was sind die nächsten Schritte?

Christoph Glasner: Der aktuelle Forschungsauftrag läuft noch zwei Jahre mit der Option für ein weiteres Jahr. Stand jetzt haben wir die Punkte benannt, die es zu optimieren gilt, damit die Industrie die Transformation angehen kann: Wie müssen sich politische und rechtliche Rahmenbedingungen ändern? Wo fehlen Fördermittel? Und vieles wurde bereits aufgegriffen. Im nächsten Schritt hat IN4climate.NRW im März eine Industriekonferenz veranstaltet, um den weiteren Fahrplan zu diskutieren. Wie eingangs erwähnt, haben wir uns bisher nur mit der Grundstoffindustrie beschäftigt. Doch was ist mit dem riesigen Mittelstand inklusive dem Anlagenbau in NRW? Auch hier ist eine Transformation unabdingbar – weshalb die Akteure im Industriepakt zusammengebracht wurden. Eine Herausforderung gerade für das Verständnis im Außenraum sind jene, die sich sowohl IN4climate.NRW als auch dem Industriepakt zuordnen lassen. Die Industriekonferenz war der Startpunkt, um innerhalb von IN4climate.NRW gleichzeitig mehr Akteure in NRW in den Blick zu nehmen, die alle vor ähnlichen Herausforderungen stehen.