»Das übergeordnete Ziel muss sein, die Mengen an Müll durch eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft sowie sinnvolle Systemlösungen zu vermeiden oder zu reduzieren.«
Müll zu Plastik wandeln: Das Bakterium Cupriavidus necator ernährt sich von kohlenstoffhaltigen Verbindungen, die zu großen Mengen in Babywindeln, Essensresten, Altpapier oder Klärschlamm enthalten sind. Als Stoffwechselprodukt entstehen dabei biologisch abbaubare Polyhydroxyalkanoate (PHAs). Im Projekt PHAtiCuS nutzen Fraunhofer UMSICHT, FUCHS Schmierstoffe, UnaveraChemLab und Fritzmeier Umwelttechnik diese Biopolymere und wandeln sie zu Schmierstoffen. Über die Zukunft der Biopolymere und deren Herausforderungen sprechen Dr. Inna Bretz vom Fraunhofer UMSICHT und Rolf Luther, Projektleiter bei FUCHS.
Müll fressende Bakterien, die nutzbares Plastik produzieren – das klingt nach dem wahrgewordenen Traum eines jeden Umweltschützers!?
Inna Bretz: Auf jeden Fall. Die Nutzung von Reststoffen in der Chemie ist schon immer präsent, zum Beispiel in großen Chemieparks. Allerdings funktioniert eine biotechnologische Verwertung von Reststoffen nicht mit jedem »Müll«, denn vorhandene Störstoffe können diese stark beeinträchtigen oder hemmen. Das Adjektiv »nutzbar« ist wichtig. Polymere herzustellen ist möglich, daraus Kunststoffe mit nützlichen Eigenschaften zu entwickeln – genau daran forschen wir bei Fraunhofer UMSICHT. Aber: Das übergeordnete Ziel muss sein, die Mengen an Müll durch eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft sowie sinnvolle Systemlösungen zu vermeiden oder zu reduzieren.
Bitte erklären Sie kurz: Was genau kann Cupriavidus necator?
Inna Bretz: Mikroorganismen verwenden kohlenstoffhaltige Verbindungen wie Zucker, kurzkettige Säuren, Alkohole, Öle und Fette als „Futter“. Die in den Zellen gebildeten Polyhydroxyalkanoate, kurz PHA, sind Teil des Energiestoffwechsels gewisser Bakteriengattungen, unter anderem bei Cupriavidus necator. Es sind Speicher für Zeiten, in denen zwar Futterquellen, aber keine Nährstoffe wie Stickstoff- oder Phosphorsalze zur Verfügung stehen.
Wie kam die Forschung auf dieses Bakterium – und wie kann es die Schmierstoffforschung nutzen!?
Inna Bretz: Cupriavidus necator wurde aus Bodenproben isoliert. Mit Zucker als Substrat kann es bis zu 90 Prozent seiner Zelltrockenmasse an PHAs ansammeln und eignet sich somit hervorragend zu deren Herstellung. Reine PHA-Typen sind allerdings nicht mit herkömmlichen Grundöltypen verträglich und müssen daher chemisch modifiziert werden. So lassen sich etwa mechanische, thermische, aber auch Eigenschaften wie Löslichkeit anpassen. Durch gezielte Modifikation der PHAs ist es uns gelungen, ein Verdickungsmittel für Schmierstoffe zu entwickeln.
Fraunhofer UMSICHT und FUCHS arbeiten zusammen im Projekt PHAtiCuS, in dem es eben darum geht, marktfähige Schmierstoffe auf PHA-Basis zu entwickeln. Was genau ist die Aufgabe von FUCHS, was macht Fraunhofer UMSICHT?
Inna Bretz: Wir entwickeln nicht nur PHA‑basierte Polymere, die sich als Verdickungsmittel in Schmierstoffen einsetzen lassen. Wir testen auch die ausgewählten Verdicker und Schmierstoffformulierungen auf biologische Abbaubarkeit und führen Lebenszyklusbewertung durch.
Rolf Luther: Bei FUCHS setzen wir auf den Mustern von Fraunhofer UMSICHT auf: Wir sehen uns wichtige Eigenschaften der neuen Polymere an, etwa ihre Löslichkeit in Grundflüssigkeiten wie Kohlenwasserstoffe, Ester, Polyglykole und andere. Daran schließen sich rheologische Untersuchungen an, in denen die verdickenden Eigenschaften der PHAs qualifiziert werden. Schließlich werden geeignete PHA-Kandidaten in vollformulierte Schmierfette integriert – und in Labor und Prüffeld anwendungsnah getestet.
Wie leistungsfähig sind diese Schmierfette? Halten sie auch extremen Bedingungen stand, etwa in der Zementindustrie oder in der Antriebstechnik?
Rold Luther: In der Tat ist dies ein entscheidender Schritt in der Entwicklung: Es wäre verwegen anzunehmen, dass ein neuer Rohstoff für alle Anwendungen zu marktgerechten Kosten geeignet sei. Nach einer Grundcharakterisierung des Materials geht es also um die Frage, für welche Zwecke es aus technischer, ökologischer und ökonomischer Sicht geeignet erscheint. Dieser Prozess dauert noch an – aber wir haben erste konkrete Ansätze realisiert.
Macht es in Bezug auf die Charaktereigenschaften des PHA eigentlich einen Unterschied, ob das Bakterium Babywindeln oder alte Zeitungen frisst?
Inna Bretz: Nein, ausschlaggebend für die Herstellung der PHAs ist die Molekülgröße der Futterstoffe. Wird die in Zeitungen oder Stoffwindeln befindliche Zellulose bis zu Glucose heruntergespalten, spielt die Quelle keine Rolle. Es dürfen allerdings keine toxischen Störstoffe im Ausgangsmaterial enthalten sein.
Welche Anwendungen stehen bei den PHA im Vordergrund?
Inna Bretz: PHAs sind thermoplastisch, in fast allen Umweltmilieus biologisch abbaubar und bilden während des Abbaus keine toxischen Produkte. Sie können auf konventionellen Anlagen und im 3D-Druck verarbeitet werden. Je nach Eigenschaftsprofil des PHAs können Produkte wie Gebrauchsartikel, Verpackungen, Folien oder Fasern hergestellt werden. Aufgrund seiner Biokompatibilität mit lebenden Geweben werden PHA auch in der Medizin und Pharmazie verwendet, etwa als Implantat oder Nahtmaterial.
Rolf Luther: Wir haben zwei Produktgruppen vor Augen: Einerseits Schmierfette, hier sind PHAs als Verdicker gefragt, und Gleitlacke, in denen PHAs als Bindemittel dienen. Aber wie schon gesagt: Welche Anwendungen realisiert werden können, ist Aufgabe eines längeren Entwicklungsprozesses.
Wie hoch ist die Nachfrage für solche biobasierten, abbaubaren Schmierstoffe?
Rolf Luther: Der Markt ist noch relativ klein. Zwar gibt es verschiedene Umweltzeichen, mit denen man die Verträglichkeit eines Schmierstoffs dokumentieren kann, aber es gibt keine Verpflichtung für dessen Einsatz, etwa in umweltsensiblen Bereichen. Und – das muss natürlich auch gesagt werden: Bio-Schmierstoffe sind fast ausnahmslos teurer als konventionelle, aus Mineralöl gewonnene.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei PHA-basierten Schmierstoffen?
Rolf Luther: Gerade in der Phase einer möglichen Markteinführung geht es – neben der Umwelt- oder Nachhaltigkeitsaussage – auch um einen technischen Mehrwert des Produktes. Wenn dieser Nachweis gelingt, lässt sich ein höherer Preis gegenüber dem Kunden rechtfertigen – zum Beispiel, weil der Schmierstoff besonders reibungsreduzierend wirkt. Daher arbeiten wir gerade daran, Anwendungen zu identifizieren, für die der neue Rohstoff besonders geeignet ist.
Die Rohstoffe sind zu etwa 90 Prozent für den CO₂-Fußabdruck des fertigen Schmierstoffs verantwortlich. FUCHS möchte gerne langfristig originär CO2-neutrale Produkte anbieten. Welche Bedeutung hat das Projekt PHAtiCuS für dieses Ziel?
Rolf Luther: Je nachhaltiger ein Rohstoff ist, desto besser für unsere CO2-Ziele. Aber bitte vergessen Sie nicht den noch viel größeren Beitrag zu CO2-Emissionen in der Nutzungsphase eines Schmierstoffs in einer Maschine. Daher ist es für uns so essenziell, in jeder einzelnen Anwendung den reibungsärmsten, effizientesten Schmierstoff anbieten zu können.