Carbon2Chem®-Konferenz
»Die Carbon2Chem®-Kerntechnologie ist ein Grundstein für zukünftige CCU-Technologien«
Carbon2Chem® nähert sich mit großen Schritten dem Ende der zweiten Projektphase. In der nächsten Stufe gilt es, die bisher erarbeiteten Lösungen zur Kreislaufführung von Kohlenstoff in die Breite und damit auch in weitere Branchen neben der Stahlproduktion zu tragen. Darin waren sich die Referenten der 6. Konferenz zur nachhaltigen chemischen Konversion in der Industrie am 17. Oktober 2023 in Düsseldorf einig. Zur Veranstaltung geladen hatten die Koordinatoren des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes: das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, die thyssenkrupp Carbon2Chem GmbH und das Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC).
Begrüßt wurden die rund 160 analog wie virtuell Teilnehmenden von Dr. Markus Oles (Gesamtkoordination Carbon2Chem®), der zum Einstieg eine Zwischenbilanz zog: »Auf der einen Seite bewegen wir uns in einem Umfeld, das Carbon Capture and Utilization (CCU) immer positiver gegenübersteht – seien es wissenschaftliche Einrichtungen, Kohlenstoff nutzende oder ausstoßende Unternehmen. Auf der anderen Seite haben wir im Projekt viel erreicht: Die Gasreinigung haben wir gut im Griff, wir produzieren ein starkes Methanol und können uns jetzt anderen Punktquellen zuwenden.« Mit Blick auf eine potenzielle, im Sommer 2024 startende dritte Phase des Verbundprojektes strecke man die Fühler bereits in Richtung Recycling, Zement und Chemie aus.
Diesen Transfergedanken griff auch der BMBF-Innovationsbeauftragte »Grüner Wasserstoff«, Till Mansmann, in seinem Grußwort auf. In Anlehnung an die in Vorbereitung befindliche Carbon Management-Strategie der Bundesregierung müssten die Ergebnisse des Verbundprojektes auf andere Industrien übertragen werden, um auch weitere Bereiche klimaneutral zu gestalten, in denen sich CO2-Emissionen nicht vermeiden lassen. »Mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie haben wir den Wasserstoffturbo gezündet und die Weichen gestellt, dass Sie in Zukunft Wasserstoff für Carbon2Chem® bekommen.«
Scale-up als nächster Schritt bei Carbon2Chem®
Nachdenklichere Töne schlug Prof. Robert Schlögl an. Der Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung stellte in seiner Keynote heraus: »Auf dem Weg zu unserem Ziel, den Klimawandel zu verlangsamen, haben wir rein gar nichts erreicht. Die Menge unserer Anstrengungen ist mehr Powerpoint als Realität.« Eine Umsetzung des Carbon2Chem®-Ansatzes in Deutschland stehe vor allem vor zwei Schwierigkeiten: Gesetzgebung und Energiepreise. »Trotz des momentanen Rückenwindes für CCU: In Brüssel steht man dem Ansatz eher skeptisch gegenüber und befürchtet, dass er das Problem der unvermeidbaren CO2-Entstehung eher verschiebt als löst.« In Kombination mit den hohen Strompreisen könne das in seinen Augen dazu führen, dass die erste Implementierung der im Projekt entwickelten Technologien im Ausland stattfindet.
Das mindere aber auf gar keinen Fall den erreichten Durchbruch. »Die Carbon2Chem®-Kerntechnologie ist ein Grundstein für zukünftige CCU-Technologien«, betonte Robert Schlögl. Jetzt müsse man den Scale-up der Module in Angriff nehmen, um das CCU-Potenzial voll ausschöpfen zu können – und da sei das Team auf einem sehr guten Wege. »Wir haben im Rahmen des Projektes ein Innovationsökosystem geschaffen, das mindestens so wertvoll ist wie die technischen Entwicklungen. Dieses Team sollte zusammenbleiben. Egal, was die Zukunft bringt.«
Kohlenstoff im Kreislauf führen: Chemie- und Zementindustrie sind bereits auf dem Weg
Auf die Keynote von Robert Schlögl folgten zwei Sessions – die erste zum Schwerpunkt »Kohlenstoff«. Hier übernahm Dr. Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung den thematischen Einstieg. Er widmete sich der Wettbewerbsfähigkeit von CCU mit CO2-Bepreisung – und zwar am Beispiel der Nutzung fossiler Kohlenstoffe für energetische und kurzlebige materielle Dienstleistungen wie Brenn- oder Kraftstoffe (z. B. über Methanol). Seine Erkenntnis: »Aufgrund der residualen Emissionen können solche Routen nur eine Brückenfunktion hin zur Klimaneutralität übernehmen. Sie sind teurer als rein fossile Optionen, aber günstiger als voll nachhaltige Lösungen.« Letztlich müssten Industrie und Politik entscheiden, welche Brückenoptionen hilfreich seien.
Dass Klimaneutralität auch Zielsetzung der Chemieindustrie ist, hob Dr. Florian Ausfelder (DECHEMA e.V.) in seinem Vortrag hervor. Konkret gab er Einblicke in die vom Verband erstellte Studie »Chemistry4Climate: Wie die Transformation der Chemie gelingen kann«, in deren Fokus drei beispielhafte Szenarien stehen: die maximale Direktnutzung von Strom, Fokus auf Wasserstoff und Power-to-X sowie Fokus auf Sekundärrohstoffe. Ergebnis sind 33 Schlussfolgerungen und Empfehlungen, die Florian Ausfelder in Auszügen vorstellte. So sei CO2 auch in einer treibhausgasneutralen chemischen Industrie unverzichtbarer Kohlenstofflieferant und CCU Kernelement der Treibhausgas-Neutralitätsstrategie der Chemie – mit Carbon Capture and Storage (CCS) als wichtiger Ergänzung.
Auf ähnlichen Pfaden befindet sich auch der Verein Deutscher Zementwerke e.V. – auf der Konferenz vertreten durch Dr. Johannes Ruppert. »Wir machen uns z.B. Gedanken darüber, wie wir effizienter mit Zement, Beton & Co. umgehen können und setzen u.a. auf Hohldecken, Carbonbeton oder Leichtbau«, erklärte er. Gleichzeitig würden Überlegungen sowohl zur Erhöhung von Recyclingraten als auch zur CO2-Abscheidung zur Nutzung bzw. Speicherung laufen. Der Schlüssel zur Dekarbonisierung von Zement und Beton sei aus Sicht des Vereins eine CO2-Infrastruktur in Deutschland. Eine entsprechende Studie werde am 9. November veröffentlicht.
Welchen Beitrag die angewandte Forschung zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie leistet, präsentierte Michael Hensmann vom VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI) am Beispiel ausgewählter Projekte. So geht es bei H2BF um die Einblasung von Wasserstoff in den Hochoffen über Versuchblasformen, während H2Stahl die Direktreduktion zum Thema hat. In weiteren Projekten werden der Betrieb des Einschmelzers zur Erzeugung eines hochofenähnlichen Roheisens und Hüttensand zur Verwertung in der Zementindustrie (DRI-Einschmelzer) sowie reduzierte CO2-Emissionen durch Erhöhung der Recyclingquote (REDERS) untersucht.
Wasserstoff-Infrastruktur in Europa und Deutschland aufbauen
Die Infrastruktur als Enabler all dieser Vorhaben stand – gemeinsam mit der gesellschaftlichen Transformation – im Zentrum der zweiten Konferenz-Session. Prof. Mario Ragwitz vom Fraunhofer-Institut für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG lenkte den Blick der Teilnehmenden direkt auf »Europäische Transportnetze und Infrastrukturen für Wasserstoff«. Für Europa erwartet der Wissenschaftler eine starke Bandbreite der Wasserstoffnachfrage zwischen 400 bis 270 TWh bis 2050. »Eine innereuropäische Versorgung ist in weiten Teilen kosteneffizient, wobei die Wasserstoffflüsse hauptsächlich von den Rändern nach Zentraleuropa laufen und Non-EU-Importe überwiegend leistungsgebunden aus der MENA-Region stattfinden.« Für Deutschland gelte: Wasserstoffinfrastrukturen seien eine sehr wichtige Flex-Option zur Integration erneuerbarer Energien. Gleichzeitig sei klar, dass das Land Energieimporteur bleibe und Aufbau und Einbindung in die europäische Infrastruktur zentral seien.
Mit dem Auftrag, ein Wasserstoff-Kernnetz für Deutschland zu entwickeln, hat die Bundesregierung die Thyssengas GmbH betraut. Details dazu kamen von Dr. Arne Dammer, beim Fernleitungsnetzbetreiber verantwortlich für Strategie und Innovation. »Bis 2032 wollen wir H2-Anbietern und -Nutzern ein ca. 11 000 Kilometer langes Netz bereitstellen«, erklärte er. »Wir starten mit kleinen, in sich geschlossenen Projekten und hoffe, dass der Startschuss für unsere Arbeiten noch in diesem Jahr fällt.«
Gesellschaftliche Akzeptanz von Energiewende und CCU
Wie all diese Entwicklungen und Technologien rund um den Kohlenstoffkreislauf bei den Menschen in Deutschland ankommen, beschäftigte Prof. Jens Wolling (Technische Universität Ilmenau) und Dr. Michael Walther (NRW.Energie4climate) in den beiden letzten Vorträgen der Carbon2Chem®-Konferenz. Jens Wolling bezog sich in seinen Ausführungen auf Umfrageergebnisse, die im Rahmen der Ausstellung »Power2Change: Mission Energiewende« generiert wurden. Sein Resümee: Obwohl die Bevölkerung geringe Kenntnisse über systemische Veränderungen besitze, akzeptiere sie weitgehend unverändert die Infrastrukturmaßnahmen. Allerdings sei auch ein deutlich nachlassendes Vertrauen in die Machbarkeit der Energiewende festzustellen. »Mögliche Erklärungen für dieses Ergebnis gibt es einige«, so der Wissenschaftler. »Anfangen bei einem starken, durch soziale Medien und Boulevardmedien geschürten Verschwörungsglauben bis zur Überforderung durch die Komplexität der Materie.«
Die gesellschaftliche Akzeptanz speziell von H2- und CO2-Infrastruktur beleuchtete Michael Walther. »Die grüne Wasserstoffwirtschaft wird als gute Story, die dahinterstehende Technologie als unproblematisch wahrgenommen«, urteilte er. Deshalb sei es unwahrscheinlich, dass lokale Oppositionen – z.B. gegen Wasserstoffleitungen oder -speicher – signifikante Unterstützung aus der Gesellschaft erhalten würden. Etwas anders sähe es bei der CO2-Infrastruktur aus. »Da ist durchaus mit lokaler Gegnerschaft zu rechnen – wobei es Unterschiede zwischen CCS und CCU gibt. Während die Speicherung ein hohes Akzeptanzpotenzial bei begrenzter Anwendung hat, wird die Nutzung überwiegend positiv wahrgenommen.« Generell gelte: Eine breite Akzeptanz der industriellen Transformation sei keineswegs gesichert. »Wir müssen als Gesellschaft ein gemeinsames Ziel und einen gemeinsamen Weg dorthin finden. Dann stehen die Chancen auf einen gelungenen Veränderungsprozess höher.«
Übrigens: Ergänzend zu den Vorträge gab es eine umfangreiche Darstellung der Projektergebnisse in Form einer Postersession.