Biogene Schwefelsäurekorrosion (BSK)
Interview vom 12.06.2020
Abwasserrohre sollten viele Jahre haltbar sein, denn der Austausch ist zeitaufwändig und kostenintensiv. Doch die Bedingungen für die verbauten Materialien sind extrem: z. B. kann durch die Besiedelung mit Mikroorganismen im Rohr Schwefelsäure entstehen. Dies führt dann zu einem kombinierten chemisch-biologischen Angriff, der sogenannten biogenen Schwefelsäurekorrosion (BSK). Um die Beständigkeit von Materialien gegenüber diesem Korrosionsfall zu prüfen, führt das Fraunhofer UMSICHT in einem dafür entwickelten Prüfverfahren seit 2006 Untersuchungen durch. Seit 2019 ist eine weltweit einzigartige Anlage zur Prüfung von biogener Schwefelsäurekorrosion in Betrieb.
Was ist das Gefährliche an biogener Schwefelsäurekorrosion?
Holger Wack: Biogene Schwefelsäurekorrosion greift Mörtel, Beton, aber auch Kunststoffe oder metallische Werkstoffe an. Durch eine Besiedelung mit Mikroorganismen (Biofilm) kann Schwefelsäure entstehen. Dies führt dann zu einem kombinierten chemisch-biologischen Angriff, der sogenannten biogenen Schwefelsäurekorrosion (BSK).
Ganz genau funktioniert dies so: Aus anorganischen und organischen Schwefelverbindungen im Abwasser bzw. im abgesetzten Schlamm wird durch sulfatreduzierende Bakterien Sulfid. gebildet, das zu Schwefelwasserstoff (H2S) umgesetzt wird. Das gasförmige H2S emittiert in den Gasraum, wird auf den Werkstoffoberflächen absorbiert und anschließend zu Schwefel (S) oxidiert. Im Kanalsystem und auch auf den Werkstoffen vorhandene Bakterien (Thiobacillen) setzen schließlich den Schwefel zu Schwefelsäure um, wodurch der Säureangriff startet und die Materialien zerstört werden.
Welche verbauten Materialien sind besonders gefährdet?
Holger Wack: Die BSK wird vorwiegend im Bereich von zementgebundenen Werkstoffen untersucht. Beton und Mörtel, z. B. im Bereich der Abwasserinfrastruktur, sind dort gefährdet.
Wie hilft UMSICHT nun bzw. was kann UMSICHT, was andere nicht können bei dieser Problematik?
Holger Wack: Um die Beständigkeit von Materialien gegenüber diesem Korrosionsfall zu prüfen, führt das Fraunhofer UMSICHT in einem dafür entwickelten Prüfverfahren seit 2006 Untersuchungen durch. Das Verfahren stellt den chemisch-biologischen Angriff praxisnah, zeitgerafft und reproduzierbar nach.
Der Zeitraffer kann welchen Zeitraum darstellen?
Holger Wack: Aussagen zum Zeitraffereffekt sind momentan nur abgeschätzt möglich, da der Vergleich mit Felduntersuchungen schwierig ist. Für zementgebundene Werkstoffe liegt der Beschleunigungsfaktor bei ca. 10. Exakte Aussagen zu erhalten, ist momentan auch Gegenstand von Forschungsarbeiten.
Wie kann biogene Schwefelsäurekorrosion letztendlich verhindert werden?
Holger Wack: Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die BSK zu verhindern. Die Reduzierung der Schwefelbildung wäre eine Möglichkeit. Dies entzieht den Mikroorganismen die Nahrungsgrundlage. Dies kann z. B. durch Kanalbelüftung erfolgen, wodurch das Schwefelwasserstoffgas entfernt wird.
Kann UMSICHT auch bei der Entwicklung von beständigen Materialien helfen?
Holger Wack: Die in Zusammenarbeit mit unseren Kunden durchgeführten Arbeiten dienen exakt diesem Zweck. Durch eine reproduzierbar nachstellbare Bewitterung können entsprechend Wechselwirkungen zwischen Materialrezepturen und deren Beständigkeit untersucht werden.
Im Jahr 2019 wurde die neue Anlage mit erweiterter Kapazität gebaut. Welche Kapazität hat sie?
Holger Wack: Die neue Anlage besteht aus zwei identischen Linien. Jede Linie hat vier Behälter zur Einlagerung von Proben. Mit unterschiedlichen Probenablagen ist es möglich, pro Behälter beispielsweise 300 Würfelproben der Abmessungen 20 x 20 x 20 mm oder 30 Würfelproben der Abmessungen 100 x 100 x 100 mm zu untersuchen. Auch die Kombination von unterschiedlichen Probengrößen oder die Einlagerung von Sondergeometrien, wie auch die Einlagerung von Originalteilen ist möglich.