Green Hydrogen
»Wir müssen Wasserstoff-Technologien erproben und in die Anwendung bringen«
Green Hydrogen ist einer der Forschungsschwerpunkte von Fraunhofer UMSICHT. Im Interview ordnen Dr.-Ing. Esther Stahl und Dr.-Ing. Sebastian Stießel die Rolle von grünem Wasserstoff für die klimaneutrale Gestaltung unserer Wirtschaft ein. Dabei zeigen sie sowohl Herausforderungen als auch Chancen auf und erklären, wie unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft unterstützen können – angefangen bei Herstellung, Nutzung und Speicherung von grünem Wasserstoff bis zur Bewertung von Systemen und Standorten, bei denen Wasserstoff zum Einsatz kommen soll.
Welche Rolle spielt grüner Wasserstoff bei der klimaneutralen Gestaltung unserer Wirtschaft?
Esther Stahl: Grüner Wasserstoff wird eine ganz zentrale Rolle für eine klimaneutrale Gestaltung der Wirtschaft spielen. Zunächst wird der Fokus aber vor allem auf Industrie und Verkehr liegen. Wasserstoff wird insbesondere dort zum Einsatz kommen, wo Effizienzsteigerung und/oder Elektrifizierung – z.B. bei der Stahlerzeugung oder bei Hochtemperaturprozessen – nicht möglich sind oder wo Energie in Form von Wasserstoff oder Derivaten wie Ammoniak über einen längeren Zeitraum gespeichert werden muss.
Sebastian Stießel: Letzteres ist vor allem mit Blick auf den Import von Energie nach Deutschland von großer Bedeutung. Aktuell werden rund 70 Prozent unseres Primärenergiebedarfs durch Importe verschiedener Energieträger gedeckt – so das Umweltbundesamt. Und da bis 2045 Erdgas und Kohle als fossile Energieträger abgelöst sein sollen, wird der Wasserstoff auch hier eine Schlüsselrolle übernehmen.
Vor welchen Herausforderungen steht die (deutsche) Wasserstoffwirtschaft aktuell? Und was bedeutet das für Unternehmen?
Sebastian Stießel: Auf dem Weg zu einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft gibt es einige Herausforderungen, die zu bewältigen sind. Allerdings sind mit diesen Herausforderungen auch Chancen für die Unternehmen verbunden, die an Lösungen arbeiten und dadurch sowohl neue Marktpotenziale erschließen als auch langfristig Arbeitsplätze sichern.
Nehmen wir die Produktion und Speicherung von grünem Wasserstoff: Auch wenn viele Technologien wie Elektrolyse oder Brennstoffzellen bereits bekannt und zum Beispiel in der chemischen Industrie Standard sind, gibt es viele Entwicklungsbedarfe. Angefangen bei der Industrialisierung der Fertigung von Elektrolyseuren über die Abhängigkeit von Edelmetallen bei der PEM-Elektrolyse bis zu Konversion, Transport und Rückkonversion von Derivaten wie Ammoniak, LOHC oder Methanol. Eine große Chance für Unternehmen, die Materialien oder Komponenten für Elektrolyseure und Wasserstoffspeichertechnologien entwickeln oder gar ganze Anlagen fertigen.
Esther Stahl: Für die Metropole Ruhr haben wir diese Potenziale im Rahmen einer Studie zum Aufbau einer Wasserstoffmodellregion genauer unter die Lupe genommen. Konkret haben wir analysiert, welche Wirtschaftstätigkeiten und Unternehmen perspektivische Beiträge zur Wasserstoffwirtschaft leisten – durch eigene Produkte oder auch durch Dienstleistungen. Dies betrifft natürlich die schon benannte Herstellung und auch Nutzung des Wasserstoffs z.B. in der energieintensiven Industrie. Entlang der Wertschöpfungskette gibt es jedoch noch viele weitere Produkte und Dienstleistungen, die zukünftig gefragt sein werden. Darunter die Herstellung von Anlagenkomponenten wie wasserstofffähigen Armaturen und Dichtungen sowie von Pumpen und Kompressoren, Überwachungs- und Wartungsarbeiten sowie der gesamte Anlagenbau. Auch Labor-, Ingenieur- und Messdienstleistungen sind von großer Bedeutung. Diese Leistungen bieten häufig kleine und mittelständige Unternehmen an, so dass wir hier auch große Chancen gerade für diese Unternehmen sehen.
Green Hydrogen ist einer der Forschungsschwerpunkte bei Fraunhofer UMSICHT. Wo liegt da aktuell der Fokus?
Esther Stahl: Unsere Forschung zu Green Hydrogen kann man in drei Bereiche unterteilen. Zum einen forschen wir an Elektrolyseuren und Brennstoffzellen. Hier geht es insbesondere um Design, Entwicklung, Charakterisierung und Bau von elektrochemischen Reaktoren. Zum anderen befassen wir uns mit der chemischen Speicherung von Wasserstoff. Hier entwickeln wir Verfahren zur Konversion und Rückkonversion von Wasserstoff in Speicher wie Ammoniak und Methanol. Schließlich sind wir auch in der System- und Standortbewertung aktiv. Das heißt: Wir modellieren und simulieren verfahrenstechnische Systeme – beispielsweise die Synthese von Methanol – oder analysieren in Quartiersprojekten das optimale Zusammenspiel aus Energiebereitstellung und -verbrauch.
Sebastian Stießel: Vielleicht ein paar aktuelle Beispiele, um das Ganze konkreter zu machen. Im Projekt »Leuna 100« arbeiten wir an einer marktreifen und skalierbaren Herstellung grünen Methanols für die Schiff- und Luftfahrt – und zwar in einem Konsortium mit dem Climate-Tech-Start-up C1, Fraunhofer IWES, dem DBI-Gastechnologischen Institut gGmbH Freiberg sowie der Technischen Universität Berlin. Unser Schwerpunkt liegt dabei in der Entwicklung einer neuartigen CO2-Elektrolyse, um aus CO2, Wasser und Strom ein Synthesegas zu erzeugen, dass in nachgelagerten Schritten dann zu Methanol synthetisiert wird. Die Eröffnung der Pilotanlage fand im November 2023 statt.
Im Projekt »HYINPORT« untersuchen wir – gemeinsam mit der Duisburger Hafen AG und GKN Hydrogen – die Lagerung von chemisch gebundenem Wasserstoff in Form von Metallhydriden. Falls sich dieser Speicheransatz als machbare Alternative zur Lagerung als Druckgas oder als tiefkalte Flüssigkeit entpuppt, planen wir in einem Anschlussvorhaben die Integration einer entsprechenden Demonstrationsanlage im Areal des Duisburger Hafens.
Darüber hinaus haben wir vor Kurzem die Analyse zur HyExperts-Region Wartburgkreis und Unstrut-Hainich abgeschlossen. Ziel war es, die regionalen Potenziale zu analysieren und mögliche Synergiepotenziale zwischen lokaler Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff aufzudecken. Wir haben dazu eigens von uns entwickelte Modellierungs- und Bewertungstools eingesetzt, die es ermöglichen, multikritrielle Standort- und Akteursanalysen durchzuführen.
Wie kann die Zusammenarbeit mit Fraunhofer UMSICHT im Bereich Green Hydrogen aussehen?
Esther Stahl: Wir unterstützen in verschiedenen Entwicklungsphasen – von der Prüfung einer ersten Machbarkeit für den Einsatz von Wasserstoff bis zur konkreten Entwicklung von Katalysatoren, Elektrolyse-Stacks und ganzen Systemen. Das kann zum Beispiel in Form einer direkten Beratungsleistung oder eines öffentlich geförderten Projekts erfolgen. Auch erarbeiten wir Transformationskonzepte für die klimaneutrale Energieversorgung von Unternehmens- und Industriestandorten. Die Nutzung von Wasserstoff ist dabei immer eine betrachtete Dimension zur Bereitstellung insbesondere von Hochtemperaturwärme sowie im Hinblick auf Themen der Umrüstung bestehender Prozesse und der Speicherung von Energie.
Sebastian Stießel: Die Unternehmensgröße ist übrigens für eine Zusammenarbeit mit uns unerheblich. Wir arbeiten sowohl mit großen Konzernen als auch mit KMU zusammen. Insbesondere das Geschäft mit mittelständischen Unternehmen aus Deutschland, Europa und anderen Teilen der Welt stellt für uns ein großes Potenzial dar. Gerne schauen wir uns mit unseren Kunden auch die bisherigen Produkte und Prozesse an und unterstützen bei einer nachhaltigen Transformation.
Zum Abschluss eine Prognose: In welche Richtung wird sich die Wasserstoffwirtschaft in euren Augen entwickeln?
Sebastian Stießel: Aus meiner Sicht muss neben der Stromerzeugung der Energiespeicherung eine höhere Bedeutung zukommen. Auch in Form gesetzlicher Rahmenbedingungen und finanzieller Anreizsysteme. Sowohl die kurzfristige als auch die langfristige Speicherung von Energie müssen zukünftsfähige Geschäftsmodelle sein. Sprich: Betreiber solcher Anlagen müssen durch die Bereitstellung dieser Speichermöglichkeiten finanziell entlohnt werden. Dabei werden die Umwandlung elektrischer Energie in Moleküle wie in Form von Wasserstoff und deren großskalige Speicherung – beispielsweise in Kavernen – ein wichtiger Bereich sein.
Mit Blick auf Deutschland lässt sich festhalten, dass einige Sektoren elektrifiziert werden und damit fast ohne grüne Moleküle auskommen können. Andere wiederum werden zwingend Energieträger wie Wasserstoff oder Methanol benötigen. Sicher ist meiner Meinung nach auch, dass wir ein Energie-Importland bleiben werden. Heimische Erzeugungskapazitäten – beispielsweise für grünen Wasserstoff – sollten unbedingt wichtige Synergieeffekte wie Stromnetzstabilisierung und Langzeitenergiespeicherung adressieren. Darüber hinaus sollte die deutsche Wasserstoffwirtschaft unbedingt auch gut mit einer integrierten Carbon-Management-Strategie abgestimmt sein. In einigen Industriesektoren werden wir nicht ohne Kohlenstoff bzw. Kohlenwasserstoffe auskommen. Kohlenstoff und Wasserstoff müssen hierbei unbedingt aus nachhaltigen Quellen oder Prozessen stammen, um die nationalen und internationalen Klimaziele zu erreichen und den Generationen nach uns einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.
Esther Stahl: Dem stimme ich voll und ganz zu! Wir haben gerade in NRW große Chancen, eines dieser Nachfragezentren zu werden und damit auch entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette neue Anwendungen und Dienstleistungen zu entwickeln, die auch anderswo eingesetzt werden können. Dazu müssen wir frühzeitig anfangen und Wasserstoff-Technologien erproben und in die Anwendung bringen.