»Am Ende soll ein Elektrolyse-Stack stehen, der greifbares industrielles Potenzial hat«

Interview /

Aus erneuerbaren Energien chemische Produkte mit grünem Fußabdruck herstellen – so lautet die übergeordnete Zielsetzung der Nachwuchsgruppe H2Organic. Ganz konkret befinden sich Dr. Daniel Siegmund und sein Team aus Forschenden des Fraunhofer UMSICHT und der Ruhr-Universität Bochum seit einem Jahr auf der Suche nach innovativen Materialien für die elektrokatalytische Hydrierung organischer Substrate. Im Interview lässt der Wissenschaftler bislang erreichte Meilensteine Revue passieren.

Daniel Siegmund
Dr. Daniel Siegmund leitet in der Abteilung Elektrosynthese des Fraunhofer UMSICHT die Gruppe Elektrokatalyse.

Welche Bedeutung hat die Hydrierung für die chemische Industrie?

Daniel Siegmund: Die Hydrierung ist eine der Standardreaktionen der chemischen Industrie, bei der Wasserstoff auf andere Chemikalien übertragen wird. Diese Transformation kann auf ganz unterschiedlichen Skalen durchgeführt werden. Beispielsweise im Labormaßstab, wenn Spezialchemikalien im Gramm-Bereich oder Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel im Kilogramm-Maßstab hergestellt werden. Großskalig kommt die Reaktion bei der Fetthärtung zum Einsatz – beispielsweise bei der Produktion von Margarine.


Und H2Organic arbeitet an einem Weg, diesen Prozess nachhaltiger zu gestalten?

Daniel Siegmund: Ganz genau. Klassischerweise wird die Reaktion mit elementarem Wasserstoff durchgeführt, der momentan meist noch unter Ausstoß von CO2 gewonnen wird. Wir wollen die Hydrierung elektrochemisch gestalten. Im Fokus unserer Arbeit steht dabei eine ganzheitliche Elektrolyse: Wir suchen in einem ersten Schritt nach edelmetallfreien Katalysatoren. Ist das passende Material gefunden, stellen wir uns die Fragen, wie es größerskalig in eine effiziente Elektrode überführt werden kann, wie eine geeignete elektrochemische Zelle aussehen bzw. designt werden kann und wie eine Skalierung in einen großflächigen Elektrolyseur gelingt.


Lässt sich beziffern, wie viel nachhaltiger dieser Weg ist?

Daniel Siegmund: Konkrete Zahlen lassen sich leider noch nicht nennen. Aber wir streichen schon mal den Wasserstoff aus der Gleichung. Das ist ein ziemlich großer Faktor – auch mit Blick auf die Sicherheit des Reaktors. Weitere Vorteile unseres Weges sind die leichtere Skalierbarkeit und Reaktionsführung sowie die modulare Übertragbarkeit auf andere artverwandte Reaktionen.


H2Organic arbeitet seit einem Jahr zusammen. Welche Meilensteine wurden bislang erreicht?

Daniel Siegmund: Ein Meilenstein ist sicherlich die Publikation eines Papers in »Chemical Science« Mitte Oktober 2022, bei dem H2Organic federführend und sogar die Industrie beteiligt war. Im Zentrum stehen Übergangsmetallsulfide der Pentlandit-Gruppe, die aufgrund ihrer Leitfähigkeit, Stabilität und stöchiometrischen Flexibilität als vielversprechende Katalysatoren für elektrochemische Anwendungen gelten, aber bislang nicht für die elektrochemische Hydrierung organischer Stoffe in Betracht gezogen worden sind. Ein erstes Screening einer Reihe von Pentlanditen verschiedener Zusammensetzungen ergab vielversprechende Aktivität für die elektrochemische Hydrierung von Alkinolen in Wasser. Den aktivsten Katalysator dieser Reihe haben wir dann in einen Zero-Gap-Elektrolyseur eingebaut. Er zeigt in einem skalierbaren Aufbau eine hohe Stabilität von Katalysator und Elektrode für mindestens 100 Stunden. Es handelt sich also um einen nachhaltigen Katalysator, der sich in elektrosynthetischen Methoden anwendungsorientiert etablieren ließe und vielversprechendes Potenzial hat. Weitere Publikationen sind bereits in der Vorbereitung.

Ein weiterer Meilenstein ist eine Patentanmeldung, die wir auf Basis des Projektes eingereicht haben. Wir warten allerdings noch auf eine Rückmeldung, deshalb kann ich leider keine Details nennen.


Von den Publikationen abgesehen: Werden Ergebnisse mit der Science-Community geteilt?

Daniel Siegmund: Auf jeden Fall. Wir sind inzwischen in einem Status, in dem wir unsere Technik auch auf Probleme anwenden können, die wir noch nicht im Fokus hatten. Deshalb sind wir sehr an Austausch und Kollaboration mit anderen wissenschaftlich arbeitenden Gruppen interessiert. Zuletzt konnten wir unsere Fühler beim Treffen der Electrochemical Society (ECS) in Atlanta ausstrecken, wo wir internationale Kontakte knüpfen konnten.


Die Förderung für H2Organic läuft noch vier Jahre. Welche Ziele wurden für diesen Zeitraum gesetzt?

Daniel Siegmund: Eine unserer Visionen: Am Ende soll ein Elektrolyse-Stack stehen, der ein sehr greifbares industrielles Potenzial zeigt. Das heißt, dass wir auf jeden Fall vom relativ kleinen Labormaßstab in einen größeren, anwendbaren Bereich kommen wollen. Was wir auch noch ausweiten – u.a. um die Generalität unseres Ansatzes zu zeigen – sind Untersuchungen zu Themen wie Langzeitstabilität, Korrosionsverhalten und verschiedene Reaktionslasten. Ich bin zuversichtlich, dass in spätestens vier Jahren irgendwo eine Demonstrationsanlage steht, die mit dem mithalten kann, was aktuell in der Industrie gemacht wird, und einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Ablösung klassischer Prozesse durch elektrochemische leistet.

 

FÖRDERHINWEIS

Das Verbundprojekt »Innovative Materialien für die elektrokatalytische Hydrierung von Organischen Substraten (H2Organic)« wird im Programm »Vom Material zur Innovation« vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 1.811.425,65 Euro gefördert. Förderkennzeichen: 03XP0421.