»Ich untersuche, wie man Energiesysteme in Zukunft nachhaltig und günstig betreiben kann«
In Duisburg befindet sich der größte Binnenhafen der Welt. Pro Jahr werden hier über 20 000 Schiffe und 25 000 Züge abgefertigt. Im Rahmen von »enerPort« entsteht erstmals ein Gesamtkonzept zur Energienutzung und -versorgung des über 1550 Hektar großen Areals – und zwar in Bezug auf Herausforderungen der Energiewende. UMSICHT-Wissenschaftler Lennart Schürmann schreibt in dem Projekt seine Doktorarbeit. Im Interview gibt er Einblicke in seine Forschung.
Wie würden Du – kurz zusammengefasst – Dein Forschungsthema beschreiben?
Lennart Schürmann: Ich beschäftige mich mit der Frage, wie man Energiesysteme in Zukunft nachhaltig und günstig betreiben kann. Dabei spielen vor allem zwei Punkte eine Rolle: dass immer mehr erneuerbare Energien ins Netz eingespeist werden, um möglichst auf 100 Prozent erneuerbare Energien zu kommen, und dass das Energiesystem möglichst effizient betrieben werden soll, also so wenig Energie wie möglich »verschwendet« wird. Dabei sollen natürlich auch möglichst geringe Kosten anfallen. Im Fokus meiner Arbeit steht aber nicht nur der Strom, ich schaue mir auch Gas und Wärme an.
Was kann ich mir konkret unter Energiesystemen vorstellen?
Lennart Schürmann: Energiesysteme können ganz unterschiedlich aufgebaut sein. Wohngebiete oder Quartiere können zum Beispiel als Energiesysteme betrachtet werden, aber auch Industriegebiete oder ganze Länder. Bei meiner Forschung geht es um das Zusammenspiel der Sektoren Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und Industrie mit Wohngebieten am Duisburger Hafen. Ich untersuche, wie sich diese unterschiedlichen Verbrauchertypen durch die Einbindung erneuerbarer Energien vor Ort von Consumer- zu Prosumerstrukturen entwickeln und wie sie sich dabei gegenseitig beeinflussen und unterstützen können.
Wie gehst Du dabei vor?
Lennart Schürmann: Gerade stecke ich noch in der Datenakquise. Das ist in der Energiesystemoptimierung häufig ein sehr großes Arbeitspaket, weil die Modelle, die wir entwickeln, »data-driven« sind. Mein Vorgehen sieht so aus: Ich erstelle zuerst ein Modell von dem Energiesystem, dass sich auf die Daten stützt und lege dann eine Zielfunktion fest: Was soll denn überhaupt optimiert werden? Speziell bei »enerPort« beschäftige ich mich nicht nur mit einer optimierten Betriebsweise vorhandener Anlagen, sondern optimiere auch die Struktur des Energiesystems. Sprich: Welche Anlagen brauchen wir überhaupt? In welcher Größe? In welcher Verfügbarkeit? Und wie viele an welchen Orten? Die Optimierung liefert dann Antworten auf diese Fragen.
Um was für Anlagen geht es da?
Lennart Schürmann: Hauptsächlich geht es um Energieumwandlungsanlagen. Zum Beispiel eine Gasturbine, die Erdgas oder Wasserstoff in Strom umwandelt. Aber auch um »Power-to-X-Anlagen«, die Strom in Wärme oder auch wieder zurück in Wasserstoff, Methan oder andere Chemikalien verwandeln können. Dazu kommen dann noch Speicher.
Aktuell plane ich auch, auf verschiedene Parameter zu optimieren. Ich hatte ja gerade schon die Zielfunktion angesprochen. Da könnte man jetzt beispielsweise sagen, dass das System möglichst kostengünstig Energie bereitstellen oder möglichst wenige CO2-Äquivalente freisetzen soll. Sprich: dass erneuerbare Energien bevorteilt und die Emissionen so gering wie möglich gehalten werden.
Spielen die Erneuerbaren auch bei der Datenakquise eine Rolle?
Lennart Schürmann: Auf jeden Fall. Photovoltaik-Anlagen lassen sich zwar auf Dachflächen installieren, aber nicht alle Hallen geben das statisch her. Für das Modell brauche ich also sowohl die Größe der Dachflächen als auch die Angabe, auf welchen davon Photovoltaik-Anlagen realisierbar wären. Gleichzeitig brauche ich auch Daten zur Bestrahlungsstärke, um abschätzen zu können, wie groß die Stromerzeugung aus Solarkraft sein könnte. Die Bedarfe an Strom, Gas und Wärme stellen eine weitere Herausforderung dar.
Wie kommst Du an die Daten? Werden vor Ort eigene Messungen durchgeführt?
Lennart Schürmann: Eigene Messungen finden zurzeit keine statt. Wir sind im engen Kontakt mit einigen Unternehmen vor Ort, die bereit sind, vorhandene Daten zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus nutzen wir Daten aus dem Geoinformationssystem (GIS). Da sind dann zum Beispiel Bestrahlungsstärken der vergangenen Jahre aufgeführt.
Ob dann tatsächlich Photovoltaik-Anlagen am Duisburger Hafen entstehen…
Lennart Schürmann: …hängt natürlich auch von den Kosten und den Verbräuchen vor Ort ab. Alle möglichen Flächen mit PV-Anlagen zu versehen, muss nicht unbedingt das Zielführendste sein. Eine bekannte Schwierigkeit bei erneuerbaren Energien ist ja, Erzeugung und Verbrauch zeitlich aufeinander abzustimmen. Speicher oder Power-to-X-Anlagen können das unterstützen, treiben aber auch die Kosten in die Höhe. Diese Anpassung von Erzeugung und Verbrauch für die unterschiedlichen Verbrauchertypen unter den Aspekten »Kosten« und »Emissionen« stellt den Kern meiner Arbeit im Projekt dar. Dabei interessiert mich für die Promotion vor allem, wie sich die Kombination verschiedener Verbrauchertypen auf die Ausnutzung der Energieumwandlungsanlagen auswirkt und welche Anlagen sich für welche Verbrauchertypen eignen.
Also trotz aller Berechnungen ein sehr praktisches Thema.
Lennart Schürmann: Genau. Das ist auch einer der Hauptgründe, weshalb ich mich sehr freue, bei »enerPort« mitarbeiten zu dürfen.