»Die Basis von Chancengleichheit ist ein wertschätzender Umgang miteinander«
Traditionell ist der Girls‘Day am 22. April darauf ausgelegt, Mädchen für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu begeistern. Wir nehmen den Tag zum Anlass, um mit einer Forscherin zu sprechen, die schon früh ihre Begeisterung für die Chemie entdeckt hat und aktuell mitten in der Promotion steckt. Gina Tlattlik skizziert im Interview ihren Weg in die Wissenschaft und stellt klar: Das Wichtigste an einer Karriere in der Forschung ist der Spaß am naturwissenschaftlichen Arbeiten.
Was sind Deine Forschungsschwerpunkte am Fraunhofer UMSICHT?
Gina Tlattlik: Ich untersuche verschiedene Emulgatoren auf ihre Fähigkeit, bestimmte Emulsionen zu stabilisieren. Dabei variiere ich die Struktur der Emulgatoren, um so ein Strukturwirkungsprinzip ableiten zu können. Kurz zur Erklärung: Eine Emulsion ist ein Gemisch zweier, normalerweise nicht-mischbarer Flüssigkeiten. Eine typische Öl-in-Wasser-Emulsion ist beispielsweise Milch.
Wie sah Dein Weg in die Wissenschaft aus?
Gina Tlattlik: Die Wissenschaft hat mich bereits als Kind fasziniert. Ich wollte schon immer wissen, warum die Dinge so funktionieren, wie sie funktionieren: Warum brennt die Flamme? Warum ist der Himmel blau? Auch in der Schule haben mich die Chemie und die anderen naturwissenschaftlichen Fächer von Beginn an begeistert. Zur Orientierung habe ich daher nach meinem Abitur in Hochschulkurse wie »Allgemeine Chemie« reingeschnuppert und mich letztendlich entschieden, in Wuppertal Chemie zu studieren.
Und wie ging es von dort zum Fraunhofer UMSICHT?
Gina Tlattlik: Dazu muss ich ein wenig ausholen... Mein Professor, der nun auch mein Doktorvater ist, leitet an der Universität den Lehrstuhl »Management chemischer Prozesse in der Industrie und Analytische Chemie« und hat mich bereits im Bachelor-Studium als wissenschaftliche Hilfskraft eingestellt, um den Arbeitskreis bei nachhaltigen Projekten zu unterstützen. Dabei habe ich u.a. per- und polyfluorierte Tenside untersucht. Diese Verbindungen kommen aufgrund ihrer hohen Oberflächenaktivität und Stabilität zum Beispiel in der verchromenden Galvanik zum Einsatz. Allerdings sind die meisten dieser Tenside persistent, bioakkumulativ und toxisch und können mit herkömmlichen Mitteln von Kläranlagen oftmals nicht abgebaut oder zurückgehalten werden. Meine Aufgabe war es daher, auch im Hinblick auf meine folgende Abschlussarbeit, ein Verfahren zu optimieren, um diese Verbindungen aus wässrigen Lösungen und damit aus der Umwelt zu eliminieren. Diese Arbeit war ausschlaggebend für meine Anstellung als hilfswissenschaftliche Mitarbeiterin (Hiwine) am Fraunhofer UMSICHT im Jahr 2018, wo ich mich aufgrund meiner Leidenschaft für nachhaltige und umweltbewusste Forschungsthemen zu Beginn meines Masterstudiums mit Schwerpunkt Molekulare Umweltchemie initiativ beworben hatte. Nach zwei Jahren als Hiwine und nach erfolgreichem Abschluss meines Studiums hat sich dann im März 2020 für mich glücklicherweise die Möglichkeit geboten, an einem speziellen Forschungsvorhaben beim Fraunhofer UMSICHT mitzuwirken, bei dem ich aufgrund des hohen wissenschaftlichen Anspruchs gleichzeitig promovieren kann. Bei diesem Vorhaben besteht nach erfolgreichem Projektabschluss und der damit einhergehenden Entwicklung eines neuartigen Produktes die Möglichkeit zur Existenzgründung.
Seit diesem Jahr nimmst Du auch am TALENTA-Programm der Fraunhofer-Gesellschaft teil. Was verbirgt sich dahinter?
Gina Tlattlik: Das ist ein bei Fraunhofer etabliertes Programm, um Frauen in der Wissenschaft zu fördern. Ich persönlich habe bislang noch keine negativen Erfahrungen gesammelt. Ganz im Gegenteil: Ich fühle mich dadurch, dass ich eine Frau bin, noch stärker unterstützt. An der Bergischen Universität Wuppertal haben sogar mehr Frauen als Männer mit mir studiert. Aber das scheint eine Ausnahme zu sein, denn häufig sind Frauen in der Wissenschaft besonders in höheren Positionen noch nicht so stark vertreten wie Männer. Und genau da setzt TALENTA an: Frauen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben, oder die bereits als Wissenschaftlerinnen tätig sind, sollen aktiv gefördert werden. Dies wird zum einen über individuelle Schulungsprogramme oder Coachings realisiert. So gibt es zum Beispiel Seminare zu der Frage, wie man Promotion und Projektarbeit effektiv vereinbaren oder wie man Exzellenz in Kommunikation und Auftritt erlangen kann. Zum anderen steht meiner Abteilung am Fraunhofer UMSICHT ein gewisses Kontingent zur Verfügung, damit ich zeitweise freigestellt werden und intensiv an meiner Promotion arbeiten kann. Dadurch habe ich mehr Zeit, um mich weiterzuentwickeln. Ich finde: ein ganz tolles Programm.
Hast Du schon eine Idee, wie es beruflich nach der Promotion weitergehen soll?
Gina Tlattlik: Da steht natürlich die Ausgründung im Raum, die ja perspektivisch das Ziel des aktuellen Projektes ist. Ich könnte mir aber auch vorstellen, ein eigenes Themenfeld beim Fraunhofer UMSICHT aufzubauen – vielleicht in Richtung Wasser- oder Umweltanalytik, weil ich aus diesem Bereich komme. Auf jeden Fall sehe ich meine Zukunft aber in der Forschung und Entwicklung.
Was gefällt Dir an der Fraunhofer-Welt?
Gina Tlattlik: Da kann ich eine Vielzahl von Gründen nennen: Zum einen ist es der Teamgeist. Der wird extrem großgeschrieben, wie ich finde. Hier herrscht kein Gegen-, sondern ein Miteinander. Zum anderen bietet mir die Fraunhofer-Welt zahlreiche Möglichkeiten, mich individuell weiterzubilden und passt sich auch in Krisenzeiten in vielerlei Hinsicht an die Bedürfnisse von uns Mitarbeitenden an. Darüber hinaus ist da aber natürlich das Thema Nachhaltigkeit, das mir sehr am Herzen liegt. Mein Ziel ist es eigentlich, die Welt durch meine Forschung ein kleines Stück zu verbessern. Und ich glaube, da bin ich am Fraunhofer UMSICHT genau richtig.
Gibt es Kompetenzen, die man in Deinen Augen für eine Karriere in der Wissenschaft braucht?
Gina Tlattlik: An erster Stelle steht da der Teamgeist. Denn nach meiner Erfahrung ist der Erfolg umso größer, wenn man im Team arbeitet – egal, ob es um Klausuren an der Universität oder um Projektarbeiten am Institut geht. Darüber hinaus sollten Forschende in spe eine gewisse Portion Neugier und Ehrgeiz mitbringen. Und das Wichtigste ist für mich eigentlich der Spaß am wissenschaftlichen Arbeiten.
Was würdest Du jemandem raten, der oder die einen ähnlichen Weg wie Du einschlagen möchte?
Gina Tlattlik: Wenn schon früh ein großes Interesse an der Wissenschaft besteht, lohnt es sich, Veranstaltungen an der Universität zu besuchen. Gerade für die großen Vorlesungen gibt es meist keine Teilnahmelisten. Da kann man also auch als Schülerin oder Schüler durchaus einen Blick reinwerfen. Auch den Austausch mit den jeweiligen Fachschaften kann ich nur empfehlen. Ansonsten würde sich aus meiner Sicht ein Praktikum bei einer Forschungseinrichtung anbieten, um erste Eindrücke zu sammeln.
Gäbe es Tipps, die Du speziell Mädchen geben würdest?
Gina Tlattlik: Tatsächlich habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht, ob ich mich als Frau in den Naturwissenschaften anders aufstellen oder präsentieren muss. Ganz im Gegenteil. Ich habe mich immer gefördert und unterstützt gefühlt – sowohl an der Universität als auch am Fraunhofer UMSICHT, sei es durch Kommiliton*innen und Professor*innen oder Kolleg*innen und Führungskräfte. Vielleicht reicht es, sich schlicht vor Augen zu halten, dass Forschung kein Männerberuf ist. Letztlich gilt: Die Basis von Chancengleichheit ist ein wertschätzender Umgang miteinander – und dieser ist geschlechterunspezifisch.