... Dr. Thorsten Wack vom Fraunhofer UMSICHT
Interview vom 14.09.2023
Als Projektleiter für die Modellierung und Simulation in L-0, was wurde aus dieser Perspektive betrachtet bislang im Verbundprojekt Carbon2Chem® erreicht?
Dr. Thorsten Wack: Die mathematische Modellierung und Simulation sind ja elementare Instrumente in der Systemintegration, die wiederum zentrales Thema in L-0 ist.
Viele Fragestellungen werden in dem Teilprojekt durch den Einsatz dieser Werkzeuge beantwortet. Hierzu gehören zum Beispiel das Scale-up des geplanten Anlagenverbundes sowie die detaillierte Analyse der unterschiedlichen Prozesse, aber auch die die Ermittlung optimaler Betriebspunkte, Regelstrategien und Fahrweisen. Uns ist es gelungen verschiedene Betrachtungsebenen und Blickwinkel zu verknüpfen. Mit Hilfe von Optimierungsmodellen werden für unterschiedliche Szenarien die Anlagenfahrpläne ermittelt, auf dessen Grundlage dann mit Hilfe detaillierter verfahrenstechnischer Modelle die Edukt- und Produktströme berechnet werden. Abschließend werden diese Ergebnisse dann als Grundlage für die eingehende ökologische und ökonomische Bewertung des betrachteten Anlagenkonzepts verwendet und so das systemische Gesamtoptimum ermittelt.
Was waren Highlights?
Dr. Thorsten Wack: Insbesondere dann, wenn das Know-how hinsichtlich der beteiligten Subsysteme geschützt werden soll, wird bei Simulationen der Einsatz sogenannter Blackbox Modelle erforderlich, also Modelle, in denen die Intrinsischen Wirkmechanismen nicht in Form von mathematischen Gleichungen transparent codiert sind. Werden diese Modelle nun mit weiteren Teilmodellen verknüpft, ist die korrekte numerische Lösung eine große Herausforderung. In L-0 ist es uns gemeinsam mit unseren Partnern gelungen, einen Algorithmus zu entwickeln, der die korrekte Berechnung der Lösung solcher sogenannter hybrider Simulationsmodelle sicherstellt. Diese Entwicklung ist mein persönliches Highlight, insbesondere weil dies auch das Thema meiner Promotionsarbeit war, die ich währende der Coronazeit verteidigen konnte.
Was waren die größten Herausforderungen?
Dr. Thorsten Wack: Aus meiner Sicht war die größte Herausforderung in diesem Großprojekt so viele unterschiedliche Partner mit ihren jeweiligen Interessen, ihrem spezifischen Know-how und Compliance-Vorgaben unter einen Hut zu bekommen und auf das gemeinsame Ziel einzuschwören. Das ist in erster Linie eine Frage von Vertrauen und gegenseitigem Respekt. Beides muss man sich erarbeiten, das braucht in der Regel Zeit und man kann das nur schwer in Verträge gießen. Bei Carbon2Chem® ist dieses Vertrauen und der gegenseitige Respekt für die Leistungen und Beiträge der jeweiligen Partner im Projekt in den letzten 7 Jahren stetig gewachsen. Ein großer Dank dafür geht an das BMBF und das PTJ, beide haben uns im Projekt einerseits Planungssicherheit verschafft, anderseits aber auch bei allen formalen Fragestellungen stets individuell unterstützt, so dass wir uns im Konsortium über alle Teilprojekte hinweg auf die Zielerreichung konzentrieren konnten.
Ein zweiter wichtiger Faktor waren die Communities, die wir in der ersten Phase eingerichtet haben und welche sich methodisch ausgerichtet über alle Teilprojekte hinweg zusammengesetzt haben, beispielsweise zum Thema Modellierung und Simulation oder aber zum Thema Nachhaltigkeit. Dies hat erheblich dazu beigetragen, etwaige Hürden zwischen den Teilprojekten abzubauen und so die Durchlässigkeit enorm erhöht.
Welche nächsten Schritte sind geplant?
Dr. Thorsten Wack: Die Nutzung von Kohlendioxid als Rohstoff für die Produktion als eine Ausprägung von Kohlenstoffkreisläufen wird aus meiner Sicht ein wichtiges Element für die Transformation der Prozessindustrie sein. Die Carbon2Chem®-Technologien können und sollen hier auch für andere Kohlenstoffquellen einen entscheidenden Beitrag leisten. In L-0 wollen wir aus der Perspektive der Systemintegration einen Baukasten schaffen, der die standortabhängige Analyse, Planung und Bewertung eines entsprechenden Anlagenkonzepts jenseits des Stahlwerks auch für andere sogenannte Punktquellen wie beispielsweise die thermische Müllverwertung, Zement- oder Kalkwerke ermöglicht. Das heißt für uns als Partner für angewandte Forschung und Entwicklung, intensiv in Verwertungspfaden zu denken.
Weitere entscheidende Themen für die Zukunft sind die gesellschaftliche Akzeptanz und Aspekte der Partizipation. Mit dem Teilprojekt »Koordination und Kommunikation« haben wir ja die ersten wichtigen Schritte in diese Richtung getan und ein großartiges Beispiel dafür ist die Wanderausstellung »Power2Change«. Das wollen wir gemeinsam im Konsortium intensivieren und auch aus L-0 heraus mit geeigneten Werkzeugen und Methoden unterstützen.