»Unsere Forschung an einer neuen Elektrolysezelle ist ein iteratives Spiel zwischen Material- und Designoptimierung«
Über 130 beteiligte Institutionen aus Wirtschaft und Wissenschaft, eine Fördersumme von bis zu 500 Millionen Euro, eine Laufzeit von vier Jahren: Mit H2Giga ist – initiiert und unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung – ein wahrhaft gigantisches Leitprojekt an den Start gegangen. In ihm arbeiten etwa 30 unabhängige Verbünde. Das gemeinsame Ziel: Elektrolyseure zur Wasserstoff-Herstellung in die Serienfertigung zu bringen. Dabei spielt Fraunhofer UMSICHT eine besondere Rolle. Als Leiter des Arbeitspaketes »Design of Tomorrow« in einem industriegeführten Verbund darf das Institut völlig neue Forschungspfade einschlagen – und auch scheitern. Details verraten Anna Grevé und Ulf-Peter Apfel im Interview.
Wie der Projektname verrät: Das Leitprojekt H2Giga ist groß und komplex. Worum geht es – in wenigen Worten ausgedrückt?
Anna Grevé: Die übergeordnete Zielsetzung ist, die Herstellung von Elektrolyseuren zu industrialisieren und kostengünstiger zu gestalten.
Ulf-Peter Apfel: Einzelne Bestandteile des Elektrolyseurs sollen neu erfunden bzw. so zusammengesetzt werden, dass sie automatisiert herstellbar sind und die Anforderungen an die Großsysteme erfüllen. Momentan entstehen die Geräte ja noch in – wenig kosteneffizienter – »Handfertigung«. Bei H2Giga arbeiten die Projektpartner*innen gemeinsam darauf hin, eine automatisierte Fertigung zu erschaffen, die es ermöglicht, Elektrolysezellen quasi wie ein Auto zusammenzusetzen.
Warum hat sich bisher noch niemand damit beschäftigt?
Ulf-Peter Apfel: Bisher gab es schlicht den Markt dafür noch nicht.
Anna Grevé: Es ist wie mit Energiespeichern: Wenn man nicht weiß, wie man damit Geld verdient, investiert niemand in die Entwicklung. Schließlich ist ohne potenzielle Abnehmer der Druck zur Entwicklung nicht da. Ein altes Problem, das sich bei der Infrastruktur für die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland wiederholt: Sie wird solange nicht entwickelt, bis der tatsächliche Bedarf deutlich ist. Es wird allerdings auch niemand Bedarf anmelden, solange es keine Infrastruktur gibt. Das ist die Diskrepanz, in der wir uns momentan bewegen.
Welchen Part übernimmt das Fraunhofer UMSICHT innerhalb von H2Giga?
Anna Grevé: Wir arbeiten im von MAN Energy Solutions koordinierten Verbundprojekt PEP.IN. Im Grunde gibt es darin zwei Parts. Der eine legt den Fokus auf Automatisierung, Industrialisierung der Fertigung, massenproduktionsfertige, schnell und günstige Prozesse etc. Der andere trägt den schönen Titel »Design of Tomorrow«, und dort sind wir involviert. Im Zentrum steht die Frage, wie ein komplett anderes System als das, das im ersten Part entsteht, aussehen könnte: Gibt es vielleicht ganz andere Designs, die deutlich mehr Vorteile bringen? Z.B. dichtungsfreie Stack Designs? Oder gibt es noch weitere Designs, die mit den heutigen Materialien noch gar nicht denkbar sind? Und das Schönste: Unser Teil darf auch am Ende des Projektes einfach nicht funktionieren. Wir haben also Narrenfreiheit und die »License to fail«.
Ulf-Peter Apfel: Eine ungewohnte, aber definitiv komfortable Situation.
Diese beiden Parts sind also komplett getrennt?
Ulf-Peter Apfel: Nicht komplett. Wir beziehen beispielsweise auch die ganzen Informationen, die im anderen Part eine Rolle spielen mit in unsere Entwicklungen ein. Wir legen also nicht ganz aufs Blaue los, sondern bekommen Inputs zu Leistungsparametern: Wie wird gefertigt? Was kann gefertigt werden? Wie kann man Dinge durchführen? Welche Materialien stehen zur Verfügung? Wie können sie verarbeitet werden? Gleichzeitig spiegeln wir zurück: Wir haben hier etwas Anderes herausgefunden, geht das bei euch auch?
Anna Grevé: Das betrifft zum einen z. B. Größen wie Leistung, Dimensionierung etc. Aber auch Verarbeitbarkeit. Können also in den Prozessen, die für die Industrialisierung entwickelt worden sind, unsere Designs genauso gefertigt werden? Funktioniert das, was wir uns überlegt haben, auch mit deren Anlagentechnik?
Ulf-Peter Apfel: Als Beispiel: Du hast einen Roboterarm, der nur Bauteile mit 10 cm Durchmesser greifen kann. Dann wäre es schlecht, wenn wir ein System entwickeln, das 12 oder 20 cm hat. Das heißt: Wir nehmen die Dimensionen auf und versuchen, sie so zu integrieren, dass wir die zur Verfügung gestellte Basistechnologie mit nutzen können.
Gibt es einen Grund, warum das Unterarbeitspaket »Design of Tomorrow« beim Fraunhofer UMSICHT gelandet ist?
Anna Grevé: Ein Grund wird sicherlich sein, dass wir vollverschweißte Stacks bereits anbieten. Zudem haben wir große Expertise im Stack-Design. Damit bewegen wir uns ohnehin schon etwas abseits bereits vorhandener Pfade und bringen das nötige Know-how mit, um neue Ansätze zu verfolgen.
Wie kann ich mir dabei die Abstimmung mit den anderen Parts vorstellen?
Anna Grevé: Im Unterarbeitspaket arbeiten wir mit dem Forschungszentrum Jülich, dem Fraunhofer ISE, MAN Energy Solutions und H-TEC zusammen. Das übergelagerte Verbundprojekt »PEP_IN« wird von einem Industriepartner koordiniert. Zudem gibt es auf H2Giga über die Plattform Elektrolyse einen regelmäßigen Austausch mit den anderen Verbünden, in dem übergreifende Themen zur Industrialisierung der Wasserelektrolyse diskutiert und bearbeitet werden.
Und wie läuft die konkrete Arbeit am »Design of Tomorrow« ab?
Ulf-Peter Apfel: Stupide gesagt: Wir bauen neue Elektrolysezellen zusammen. Dabei versuchen wir, auf Dichtungen vollständig zu verzichten und durch die Reduzierung der Anzahl der Einzelkomponenten die Assemblierung zu vereinfachen. Wir arbeiten sowohl am Design der Einzelkomponenten wie der Membran-Elektroden-Einheit als auch an der Charakterisierung.
Haben Sie dabei ein bestimmtes Ziel vor Augen?
Ulf-Peter Apfel: Wir haben eine sehr genaue Vorstellung, wo wir hinwollen. Die Leistungsparameter, die derzeit auf dem Markt sind, müssen wir definitiv treffen. Das bedeutet: Stromdichten von 1,2 bis 1,8 Ampere pro cm2 muss unser Design einfach aushalten können – bei einer Zellspannung von ca. 1,6 Volt Einzelzellspannung. Die Größe, die wir anvisiert haben, ist ein Einzelmodul von 600 cm2 Zellfläche.
Darüber hinaus muss das von uns entwickelte System auch gestapelt werden können. Wir überlegen also: Wie können wir Stacks entsprechend aufbauen? Wie können wir Temperaturen in diesem Stack regulieren? Wie können bestimmte Zellteile so gefertigt werden, dass sie bei diesen harschen Bedingungen nicht korrodieren? Wie können wir eine Membran in dieses dichtungslose Konzept integrieren? Und dann natürlich die Frage: Wie kriegen wir das alles zusammen und können es auch umsetzen?
Anna Grevé: Das Forschungszentrum Jülich hat z. B. spezielle Katalysatorelektrodenschichten. Da schauen wir, ob wir deren Technologie bei uns mit einbauen können.
Was ist mit harschen Bedingungen gemeint?
Ulf-Peter Apfel: Wir adressieren eine Leistungsklasse von 1,6 Volt mit 2 Ampere als oberes Limit. Das System heizt sich dort sehr auf. Wir müssen also Kühlkonzepte mitbedenken, damit wir keine Probleme mit den Zellkomponenten bekommen und diese korrodieren, schmelzen oder nicht mehr formstabil sind.
Anna Grevé: Wir müssen uns überlegen, ob wir das Temperaturmanagement im Stack Design anders gestalten können, damit wir diese Temperaturen gar nicht erst erreichen. Die andere Variante ist, dass wir materialseitig den Anforderungen noch entgegenkommen: Was können wir mit dem Material erreichen? Wie können wir die Komponenten so verändern und optimieren, dass sie für die Anwendung ausreichend stabil sind. Oder gibt es technische Anpassungsmöglichkeiten, die uns erlauben, bei milderen Bedingungen zu arbeiten? Wir möchten ja eigentlich nicht so viel Wärme abtransportieren müssen. Schließlich haben wir beim Kühlen immer einen Energieverbrauch. Am Ende ist unsere Arbeit ein iteratives Spiel zwischen Material- und Designoptimierung. Das geht immer hin und her.
Was unterscheidet Ihren Ansatz von anderen?
Ulf-Peter Apfel: Wir verfolgen einen minimalistischen Ansatz, indem wir versuchen, Zellkomponenten, die derzeit sehr teuer oder sehr selten sind, zu vermeiden. Wir versuchen, eine Zelle zu bauen, die eigentlich nichts mehr mit bestehenden Designs zu tun hat, sondern eine wirkliche Neuentwicklung ist. Und dafür stimmen die Rahmenbedingungen in unserem Verbundprojekt bei H2Giga: Wir können von Grund auf neu aufbauen, wir brauchen kein Re-engineering einzelner Komponenten, sondern können eine komplett neue Zelle aufbauen, so wie wir uns das denken.
Gesucht wird also eine nachhaltigere Alternative zu aktuellen Systemen?
Ulf-Peter Apfel: Das ist der Wunsch. Wir bedenken auch nach Hinten raus das Recycling mit. So eine Zelle hat keine ewige Lebensdauer. Nach 50 000 Stunden ist sie wahrscheinlich kaputt. Wir zielen darauf ab, dass sie so viel schafft. Wir machen uns Gedanken darüber, wie man das Design so minimalistisch gestaltet, dass der Austausch relativ einfach ist, und wie man es schafft, dass man so wenig Teile hat, dass auch das Recycling kein Thema ist.
Über das Leitprojekt H2Giga
H2Giga ist eines der drei Wasserstoff-Leitprojekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Mit seinen etwa 130 beteiligten Institutionen aus Wirtschaft und Wissenschaft, organisiert in etwa 30 eigenständig arbeitenden Verbünden, arbeitet H2Giga an der Industrialisierung der Wasserelektrolyse. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab herzustellen. Am Leitprojekt H2Giga beteiligen sind die führenden Hersteller*innen dieser Technologie sowie Zulieferer und Zulieferinnen, KMUs und Start-up Unternehmen. Von wissenschaftlicher Seite arbeiten im Leitprojekt H2Giga renommierte Universitäten und Forschungseinrichtungen an den Themen Materialforschung, Lebensdauer und Zelltests, Recycling, Fertigungstechnologien, Leistungselektronik und Digitalisierung. Insgesamt ist für diese Aktivitäten eine Fördersumme von bis zu 500 Millionen Euro vorgesehen.